LVR-Institut für Landeskunde
und Regionalgeschichte
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Braunkohlebedingte Umsiedlung und Protest in Corona-Zeiten – Impressionen aus Keyenberg im Mai 2020

Die Bewohner der am Tagebau Garzweiler II liegenden Dörfer haben die Folgen der Corona-Pandemie sehr früh erlebt, denn sie wohnen im Kreis Heinsberg. Die Maßnahmen des Bergbaubetreibers scheinen durch den Shutdown jedoch weitgehend unbeeinflusst zu bleiben. Der Schaufelradbagger zur Förderung der Braunkohle hat sich in den vergangenen Wochen auf der obersten Sohle nahe an den östlichen Ortsrand von Keyenberg vorgearbeitet und prägt das Bild des Dorfes in verstärkter Weise und trägt die Baggergeräusche und Staub vor allem bei Nordost-Wind ins Dorf hinein. Auch das Setzen der Sümpfungspumpen zur permanenten Senkung des Grundwasserspiegels wird ohne erkennbare Verzögerungen fortgesetzt.

Der Braunkohlebagger rückt immer näher an das Dorf Keyenberg heran. Im Vordergrund das gelbe Kreuz der Protestbewegung „Alle Dörfer Bleiben“ Der Braunkohlebagger rückt immer näher an das Dorf Keyenberg heran. Im Vordergrund das gelbe Kreuz der Protestbewegung „Alle Dörfer Bleiben“ Mit Rindenmulch bedeckte Grablegen in Keyenberg. 02 Seit Ende April 2020 sind nur wenige Grablegen auf dem alten Dorffriedhof in Keyenberg verblieben. Bäckerei in Keyenberg. Die Bäckerei in Keyenberg hält auch in „Corona-Zeiten“ ihren Verkauf aufrecht.

In den Dorfstraßen und auf den Grundstücken stehen viele Container, die sich im Zuge der Entrümpelung der Häuser füllen; gleichzeitig verdichtet sich der neue Siedlungsort. Eine Corona-Pause scheint es in der tagebaubedingten Umsiedlung nicht zu geben. Die zweite Phase der Umbettungen erfolgte innerhalb von zehn Tagen Ende April, so dass heute nur noch wenige Gräber auf dem Keyenberger Friedhof belegt sind. Statt gepflegter Grabstätten prägen Rindenmulchaufschüttungen den Dorffriedhof, dessen zierende Mauerpfeiler samt schmiedeeisernem Tor für die Wiederaufstelllung am neuen Gemeinschaftsfriedhof in Keyenberg-neu bereits entfernt wurden.

Der Bergbaubetreiber sieht in der Beibehaltung der Planungen für die Umsiedlung eine wesentliche Voraussetzung, den Anspruch auf Sozialverträglichkeit einzuhalten. Dennoch sind die Folgen der Pandemie auch in den „Umsiedlungsdörfern“ und besonders in Keyenberg sichtbar und spürbar. Die Bäckerei, die in Keyenberg noch immer – wenn auch mit eingeschränkten Öffnungszeiten – ihren Verkauf im Ladenlokal aufrechterhält, regelt die Abstands- und Hygienevorschriften wie innerstädtische Geschäfte in Erkelenz auch.

Die von der Stadt Erkelenz ausgehängten Plakate mit dem Aufruf zu Hause zu bleiben, hängen in den Kästen zur Bürgerinformation gleich unter den regelmäßig aktualisierten Umsiedlungsplänen des Bergbaubetreibers. Eines der wenigen noch bewohnten Häuser steht tatsächlich unter Quarantäne. Regenbogenbilder, die die Hoffnung geben sollen, alles werde gut, fehlen.

Unter dieser Oberfläche wirkt sich die Pandemie jedoch wesentlich einschneidender auf Gemeinschaften in den Dörfern aus. In Keyenberg-neu wird das erste Schützenfest am neuen Ort nicht gefeiert werden können. Im Dorf Kuckum, in dem die Umsiedlung etwas zeitversetzt stattfindet, fällt das Schützenfest ebenfalls aus – und damit das Abschiedsfest im und vom historischen Dorf.

Ein Maibaum, welcher mit gelben Bändern einer geplanten Menschenkette geschmückt ist. Maibaum statt Menschenkette – eine neue Form des Protestes gegen den Rückbau der Dörfer Angemeldete und genehmigte Protestaktion mit und ohne Corona-Schutzmaske am Tagebaurand vor Keyenberg Angemeldete und genehmigte Protestaktion mit und ohne Corona-Schutzmaske am Tagebaurand vor Keyenberg Angemeldete und genehmigte Protestaktion mit und ohne Corona-Schutzmaske am Tagebaurand vor Keyenberg Angemeldete und genehmigte Protestaktion mit und ohne Corona-Schutzmaske am Tagebaurand vor Keyenberg

Den Protestbewegungen, die sich für den Erhalt der Dörfer in den deutschen Braunkohlerevieren einsetzen, bleibt die Demonstration als demokratisches Grundrecht weitgehend verwehrt. An ihre Stelle treten Webinare und Posts in den sozialen Medien. Das Aufstellen eines Maibaums mit gelben Bändern, die stellvertretend die Namen von Demonstrant*innen tragen, ist das kreative Ergebnis einer richterlich untersagten Menschenkette von 50 Teilnehmer*innen, die jene drei Meter langen Bänder als Abstandshalter zwischen sich spannen wollten. In der mit 30 Personen schließlich genehmigten Veranstaltung in der ersten Maiwoche trugen die Teilnehmer*innen schwarze Atemschutzmasken mit dem gelben Andreaskreuz des Protestes nur bis zum offiziellen Beginn der Versammlung, weil diese unter das Vermummungsverbot fiel.

Das LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte begleitet und dokumentiert seit November 2019 die Umsiedlungsprozesse im Projekt „Die Rolle des kulturellen Erbes in Strukturwandlungsprozessen“ möglichst umfänglich. Die Pandemie ermöglicht seit Wochen jedoch nur einen Blick auf das Dorf und einen Kontakt zu den Betroffenen von Ferne.

Eine Häuserreihe in Keyenberg. Bitte Platznehmen! – eine Privatinitiative zur Pflege des Dorflebens Das Bild einer dörflichen Idylle drei Jahre vor der bergbaulichen Inanspruchnahme Keyenbergs Das Bild einer dörflichen Idylle drei Jahre vor der bergbaulichen Inanspruchnahme Keyenbergs Ein gelbes Protestkreuz lehnt an einem zum Fällen markierten Baum. Doppelt markiert: Vor den Fällarbeiten wird noch protestiert.

Zu beobachten ist dabei eine irritierende Gleichzeitigkeit verschiedener Dorfbilder. Dazu zählt der Eindruck eines „verstummenden“ Dorflebens und des baulichen Verfalls in der straßenseitigen Betrachtung. Direkt neben einem der besonders großen Container richtet eine der Familien vor ihrer Haustür eine Sitzgruppe zum gemütlichen Plausch mit den noch im alten Dorf Verbliebenen ein. Der Blick von der Feldflur zeigt noch gepflegte Bauerngärten, weidende Pferde, Kinder die Ziegen füttern und den letzten aktiven Landwirt, der seine Kühe von der Weide in die Ställe treibt. Am Grubenrand lehnt das gelbe Kreuz des Protestes an einer Linde, die bereits die Markierung für die nächsten Fällarbeiten trägt.

Fotos: Anja Schmid-Engbrodt, LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte