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Kleiner Trost für Kirmes-Fans
Pützchen Markt ruft sich in Erinnerung
Markwiesen, Bonn-Pützchen, September 2021: Wo sonst um diese Zeit das Kirmes-Fieber umgeht, wo Festzelt und Fahrgeschäfte, Imbissbuden und Bierbänke auf eine Million Besucherinnen und Besucher warten, herrscht gähnende Leere. Die Bonner Großkirmes Pützchens Markt wurde aufgrund der Corona-Pandemie auch in diesem Jahr abgesagt.
Jahrmarkherz mit optimistischem Slogan: Foto: Tabea Meuter/LVR_ILR
Für viele Anwohnende des Ortsteils, für die Bonner Kirmes-Szene, für Jahrmarktfans von überall her und ganz besonders für die Schausteller*innen eine herbe Enttäuschung. Unter normalen Umständen wäre am 10. September 2021 die Großkirmes mit Festumzug und Fassanstich offiziell eröffnet worden. Das Auftakt für fünf Tage Geschiebe und Gedränge in den Budengassen, er fällt aus. Weder Ausgelassenheit an den Attraktionen noch geselliges Treiben in den sonst so zahlreichen Hauswirtschaften, Imbisbuden und Bierzelten wird es geben.
Als kleinen Trost haben sich der Schaustellerverband Bonn/Rhein-Sieg/Euskirchen und der Freundeskreis Pützchens Markt für diesen Tag etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Es wird eine symbolische Eröffnungsfeier auf dem Bonner Münsterplatz gegeben. Ein Programm mit großer Kirmesorgel und historischen Zugmaschinen, mit Zuckerwatte und Lebkuchenherzen für Kinder soll nicht nur einen Hauch Kirmes-Atmosphäre, sondern auch Hoffnung und Optimismus verbreiten. Unter dem Motto „Pützchens Markt 2022 – wir kommen wieder“ möchten die Veranstalter ein starkes Signal geben, dass die Kirmes zurückkehren wird. Nach der Veranstaltung in der Innenstadt geht es Abends am Sommerbiergarten von "Markmann" in Pützchen unweit der Markwiesen mit einem kleinen Programm weiter. [Ursprünglich war auch geplant, dort in kleinem Rahmen an die Tradition des offiziellen Fassanstichs anzuknüpfen. Dieses zentrales Eröffnungsritual wurde dann aber doch aufgrund der Schutzmaßnahmen gestrichen.]
Spiel mit vertrauten Ritualen und Erinnerungen
Pützchens Markt setzt sich für gewöhnlich aus einer ganzen Fülle kleinerer und größerer, offizieller und inoffizieller Rituale zusammen und lebt von dieser Vielfalt. All diese Elemente stiften Gemeinschaft und strukturieren fünf Tage überbordendes Kirmesgeschehen. So war es jedenfalls, bevor Corona kam. Auf dieses reiche Repertoire an Ritualen greifen nun auch die Veranstalter der diesjährigen, kleinen Aktion zurück und wählen zumindest einige wenige Elemente aus dem sonst üblichen Festablauf aus: Historische Zugmaschinen, besondere Speisen wie Zuckerwatte und Lebkuchenherzen, typische Musik, wie der Klang der Kirmesorgel, das gesellige Beisammensein bei einem Glas Bier - oder auch mehreren.
Das alles sind 'klassische' Bestandteile eines Jahrmarkts, die sich als solche sowohl in der kollektiven Erinnerungskultur als auch im individuellen Kirmeserleben eingeschrieben haben. Diese Rituale werden nun corona-gerecht modifiziert, umgestaltet und zu einem neuen Ablauf zusammengesetzt. Es ist zwar bei Weitem nicht der "echte" Pützchens Markt, aber die Teilnehmenden erkennen ihre geliebte Veranstaltung in diesen kleinen Elementen durchaus wieder. Ihre Erinnerungen und die damit verknüpften Emotionen werden angesprochen. Auf diese Weise gelingt es, trotz aller Unwägbarkeiten und Entbehrungen, die mit der Corona-Krise einhergehen, den Pützchen-Fans wenigsten etwas Bekanntes und Geliebtes wiederzubringen.
Krisen, Rituale, Vertrautheit
Aus Sicht der Alltagsforscherinnen im ILR ist der Rückgriff auf Vertrautes bei der Bewältigung von krisenhaften Situationen nicht unbedeutend. Die Corona-Pandemie bringt eben auch Verunsicherungen mit sich, weil sie Alltagsroutinen und Gewohnheiten außer Kraft setzt. Rituale und Routinen geben Sicherheit – eine Binsenweisheit, nicht nur in der Psychologie, sondern auch in der Kulturanthropologie. Gerade im umfangreichen Brauchleben des Rheinlands mussten die Menschen über ein Jahr lang auf viele Gewohnheiten verzichten. Dieser Verlust bedeutet neben den anderen negativen Erfahrugen, die durch ein weltweites Virus ausgelöst werden, also eine zusätzliche Destabilisierung. Feste und Bräuche strukturieren nicht nur das Jahr, sie sind auch eine Auszeit vom Alltag, ermöglichen zwischenmenschliche Erfahrungen. Sie erfüllen also vielfältige soziale und kulturelle Funktionen. Zumindest einen Teil dieser vertrauten und beliebten Feste wieder (er)leben zu können, lässt sich nicht nur auf schlichte Spaß- und Gemeinschaftserlebnisse reduzieren. Es bringt eben auch ein Stück Vertrautheit und Struktur zurück und vermittelt damit Sicherheit, Stabilität und Verlässlichkeit. Und sei es nur für den Moment – wenn man den Klang der Kirmesorgel wiedererkennt und positive Erinnerungen abgerufen werden.
Kulturelles Erbe dokumentieren
Für die Alltagsforscher*innen des ILR stehen Pützchen Markt und die Adelheidis Wallfahrt bereits seit den 1970er Jahren wiederholt im Fokus ihres Interesses. Beides sind Bestandteile des kulturellen Erbes der Region und immer wieder einem Wandel unterworfen. Daher wird das ILR auch die kleinen, alternativen Ersatz-Rituale, die anlässlich des abgesagten Jahrmarkts stattfinden, mit großem Interesse beobachten, das Geschehen mit der Fotokamera dokumentieren und die Menschen vor Ort zu Wort kommen lassen.
Filmdokumentation über "Pützchens Markt!"
Auch das ILR hält für alle Jahrmarkt-Fans einen kleinen Trost bereit: Wer in die besondere Atmosphäre von Pützchens Markt eintauchen möchte, kann sich unsere Filmdokumentation „Auszeit in Pützchen. Der Jahrmarkt vor der Haustür“ (2017) online anschauen.
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Text: Gabriele Dafft