LVR-Institut für Landeskunde
und Regionalgeschichte
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Feiern in der Pandemie

Von der Regulierung des Zufalls und der Sehnsucht nach dem Unvorhersehbaren

Nachtleben in der Krise: Was Bonner*innen am Feiern fehlt

Die Möglichkeiten, aus den Routinen des Alltags auszubrechen, sind in Zeiten der Pandemie stark begrenzt. Gerade an Wochenenden wird in Bonn normalerweise gerne gefeiert, aktuell jedoch bedeuten Kontaktbeschränkungen, Sperrstunden, Alkoholverbote und zeitweise gänzlich geschlossene Gastronomien für die Bonner*innen: Kein Feierabendbier in der Stammkneipe, kein gemeinsames Schunkeln beim Straßenkarneval, kein Wochenausklang bei einem Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, kein Club-Besuch mit den Freund*innen. Und auch kein „Cornern“ (engl.: „(Straßen)-Ecke“) vor dem Kiosk, das normalerweise gerade bei jungen Leuten als nächtlicher Treffpunkt beliebt ist.

Nachtansicht eines erleuchteten Kiosk an einer menschenleeren Straßenecke, im Hintergrund leuchtet ein Schriftzug "Altstadt". „Cornern verboten!“ In der Krise wird öffentlicher Raum kontrolliert. Der Aufenthalt vor diesem Kiosk in der Bonner Altstadt ist seit Beginn des zweiten Lockdowns untersagt. Foto: Jana Brass

Für viele fallen damit wichtige Rituale weg, die der Trennung von strukturiertem (Arbeits)alltag und unregulierter Freizeit dienen. Katharina, eine Studentin aus der Bonner Altstadt, berichtet in einem Forschungsgespräch davon, wie sie diese Einschränkungen treffen:

„Ich vermisse am meisten: abends zusammen essen gehen und dann in ‘ne Kneipe. Und das vermiss ich wirklich! […] Und was mir auch fehlt, sind diese zufälligen Begegnungen – also es passiert nichts Unvorhergesehenes mehr, weil der Tagesablauf zwar nicht strukturiert ist, aber du weißt halt nun mal, was auf dich zukommt, wenn du online zur Uni gehst.“

Was zeichnet die persönlichen Rituale, die häufig unter dem Begriff „Feiern“ zusammengefasst werden, aus? Und was vermissen Bonner*innen derzeit am meisten? Was Feiern für sie bedeutet, wird vielen umso bewusster, seit es nicht mehr selbstverständlich ist. Während Katharina die Trennung zwischen Alltagsroutine und Feierabend fehlt, beschreibt Birgit (42), die ihr ganzes Leben lang schon in Beuel lebt, dass sie auch das körperliche Ausbrechen aus dem Gewohnten sehr vermisst:

„Ich hab das letzte Mal Karnevalsdienstag [2020] getanzt! […] Ich habe seitdem nicht mehr getanzt. Und das ist was, wo ich auch merke: Man möchte ja mal – also wenn man rausgeht, was trinkt, und geile Musik hört – […] einfach so aus voller Kehle mitsingen! Und ob’s jetzt Karnevalslieder sind oder was anderes … Das fehlt mir am aller-allermeisten!“

Für sie, wie für viele andere, ist beim Feiern aber nicht nur das Ausbrechen wichtig, sondern auch das Erleben von Gemeinschaft:

„Dass man sich natürlich mal in den Arm nimmt, Küsschen rechts, Küsschen links. Und ‘Ach toll, dass wir uns sehen!’. Also dieses ... ja, Körperliche. [...] Dass man sich halt in den Arm nimmt. Das ist ja schon auch ein Ausdruck von Zusammenhalt oder Zugehörigkeit. Zusammen was trinken, tanzen, auch mal so sich ins Eckchen zusammen stellen und mal so: ‘Ah, haste die gesehen?’ Bisschen Tratschen und so weiter. Oder: ‘Ach, ich hab dir noch gar nicht von meinem Exfreund erzählt!“

Für die eine ist es also die Gelegenheit, sich mit guten Freund*innen “den Frust von der Seele tanzen und trinken” zu können, die ihr seit Beginn der Pandemie am meisten fehlt. Für den anderen ist es vielmehr der räumliche Wechsel für das Feierabendgetränk. Viele vermissen auch die spontanen Begegnungen mit Fremden, „neue Leute kennenzulernen“, genauso wie das Treffen in größeren Gruppen. Michael (42) fehlt ganz besonders „diese Leichtigkeit, die mit der Offenheit unbegrenzter Personengruppen zu tun hat“. Der Pandemie-Alltag ist für ihn, so wie für viele andere, nicht von Offenheit, sondern von Enge geprägt. Er erzählt weiter:

„Mir fehlt dieses Ungezwungene, Ungeplante. Mir fehlt, dass Gruppen offen sein können, dass einfach jeder dazu kommen kann. [...] Dadurch hat sich Gespräch verändert. Gespräche sind schwerer geworden.“

Was er alles vermisst, fasst er so zusammen: „Menschen in einem offenen Raum zu treffen“. So geht es vielen. In der Pandemie bewegen wir uns selten außerhalb der eigenen vier Wände und außerhalb des eigenen Haushalts – außerhalb der politisch regulierten und gewohnten Größen also, die unseren Alltag derzeit so stark bestimmen.

Kontrollierter Ritualverlust statt ritualisiertem Kontrollverlust

So verschieden die persönlichen Vorlieben und damit die einzelnen Rituale der Bonner*innen also sind, die das Feiern für sie ganz individuell ausmachen – die meisten davon zeichnet das räumliche, körperliche und soziale Ausbrechen aus den gewohnten Strukturen des Alltags aus: „Loslassen”, „Rausch“, das Erleben von Gemeinschaft zusammen mit Bekannten genauso wie ungewohnte und unvorhersehbare Begegnungen und Situationen mit Fremden, die sich innerhalb des Alltags selten ergeben.

„Ich hatte auch schon lustige Begegnungen um 3 Uhr nachts, betrunken oder nicht betrunken, [auf dem Weg] nach Hause, von wo auch immer ich vorher war. Das ist doch zum Beispiel spannend! Also man sozialisiert sich gar nicht mehr. Ich lerne auch nirgendwo mehr neue Leute kennen – wo soll ich das denn auch tun?“

Genau dieser ritualisierte Kontrollverlust ist es, der durch die Pandemie zur Gefahr wird, und gegen den sich viele der Maßnahmen und Verbote zur Eindämmung des Infektionsgeschehens richten. Wo Menschen zusammenkommen, sich in Gespräche vertiefen, Alkohol trinken, eng tanzen, sich derm Nervenkitzel der Offenheit hingeben – kurz: wo sie feiern, da hat das Virus leichtes Spiel. Also werden öffentliche und halb-öffentliche Räume kontrolliert, das Verhalten der Menschen wird reglementiert. Durch diese Maßnahmen wird der Alltag der meisten Bonner*innen in vieler Hinsicht neu strukturiert und es verändert sich nicht zuletzt, wo, wie und mit wem sie feiern. Was sie dabei am meisten vermissen, ist, wie sich herausstellt, genauso vielfältig wie das, was Feiern für sie normalerweise ausmacht.

Grafik mit Clownsgesicht und Schriftzug "11.11. Wir bleiben zu Haus, mit Karneval 'em Hätze'" Für viele Bonner*innen bedeutet Karneval feiern ritualisierter Kontrollverlust. Während der Pandemie hat die Stadt Bonn dazu aufgerufen, den 11. November 2020 nicht zu feiern, sondern zu Hause zu bleiben. Abb: Stadt Bonn, Pressemitteilung vom 11.11.20.

Mitmachen: Wie sieht Ihr Pandemie-Alltag in Bonn aus?

Wohin und wie entfliehen Sie während der Pandemie Ihrem Alltag? Wie gestalten Sie Ihren Feierabend in der Krise? Auf welche Feste und Anlässe zum Feiern hatten Sie sich gefreut, und was vermissen Sie derzeit am meisten?

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Forschungsprojekts Bonndemic - Pandemischer Alltag in Bonn an der Abteilung Kulturanthropologie der Universität Bonn. Das ILR-Insitut für Landeskunde und Regionalgeschichte kooperiert in Rahmen diese Projektes mit der Universität. Wenn Sie Lust haben, den Kolleg*innen von Ihrem Alltag in Bonn während der Pandemie zu erzählen, finden Sie hier weitere Informationen und Kontaktdaten.

Jana Brass

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