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"Bleib gesund!" – Eine neue Routineformel entsteht
Die Corona-Pandemie hat in den letzten Wochen in kürzester Zeit unser aller (Alltags-)Leben verändert, frühere Selbstverständlichkeiten bedürfen auf einmal umständlicher Planung, vieles funktioniert nicht mehr so, wie wir es gewohnt sind. Doch die Entwicklungen der letzten Tage zeigen auch: Not macht erfinderisch. Junggesellenvereine gehen für ältere Dorfbewohner*innen einkaufen, Großeltern lesen ihren Enkeln per Skype vor und viele berufliche Aufgaben werden von zu Hause, per E-Mail oder Telefon erfolgreich erledigt. Diese Entwicklung zeigt sich dabei nicht nur in unseren Taten – auch in unseren Worten hinterlassen die aktuellen Ereignisse schon Spuren. So ist binnen weniger Tage eine neue Routineformel entstanden, die nun hochfrequent am Ende von Gesprächen und E-Mails auftaucht: "Bleib gesund!"
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Routineformeln sind sprachliche Konstruktionen, die aus einem oder mehreren Wörtern bestehen können und die im Alltag immer wieder begegnen: "Guten Tag!", "Gesundheit!" oder auch "gern geschehen". Viele Routineformeln, insbesondere die Grußformeln, erfüllen ganz spezifische kommunikative Aufgaben und sind situationsgebunden. "Guten Tag!" oder "Hallo!" zeigen an, dass ein Gespräch eröffnet wird, "Sehr geehrte/r …" oder "Liebe/r …" haben die gleiche Funktion in der geschriebenen Sprache. Auch für das Ende einer Unterhaltung, eines Briefes oder einer anderen Textnachricht gibt es eindeutige Formeln: "Tschö", "Auf Wiedersehen" oder "Mit freundlichen Grüßen". Doch diese "technische" Funktion ist bei Weitem nicht alles, was Routineformeln leisten – im Gegenteil, denn ein Gespräch könnte auch ohne Begrüßung oder Verabschiedung funktionieren. Aber, und das ist eine ganz wichtige Aufgabe der Formeln, die meisten Gesprächspartner*innen sähen es wohl als unfreundlich an, wenn keinerlei Grußformel die Unterhaltung eröffnen oder beenden würde. Routineformeln leisten also "Beziehungsarbeit", sind Sprech- und Schreibrituale: Ob "Tschau" oder "Auf Wiedersehen" am Ende eines Gesprächs steht, hängt davon ab, wie gut man sich kennt und die Verwendung von "Sehr geehrte" oder "Lieber" sagt etwas über Hierarchie aus. Für die Sprecher*innen und Schreiber*innen sind solche festen Formeln eine Erleichterung: Es muss nicht bei jedem Gespräch, bei jeder Mail neu überlegt werden, wie man beginnt und wie man sich verabschiedet – man wählt aus einem üblichen (jedoch nicht abgeschlossenen!) Set aus. Auch für Hörer*innen und Leser*innen erleichtert diese Wiederholung die Kommunikation: Man weiß, was man in ihrer Folge erwarten kann. Und die Wahl der passenden Grußformel macht dem Gegenüber deutlich: Wir gehören zur gleichen Gruppe, wir akzeptieren die gleichen Regeln für das gemeinsame Kommunizieren. Damit sind Routineformeln kulturell gebunden und gesellschaftlich konventionalisiert.
Emmauskirche, St. Augustin-Menden im März 2020
Wie der Fall von "Bleib gesund" (auch "Bleibt gesund" oder "Bleiben Sie gesund") zeigt, sind aber auch Grußformeln kein starres Konzept: Es können neue entstehen, alte verschwinden. Das ist dadurch bedingt, dass wir unsere Sprache immer an unsere Bedürfnisse anpassen. In Zeiten akuter Bedrohung hat das soziale Wesen Mensch das Verlangen, sich als Teil einer Gruppe zu fühlen und zu positionieren. Und dies funktioniert eben auch durch sprachliche Rituale: "Bleib gesund" ist in erster Linie ein guter Wunsch, aber indirekt meint es auch "Wir sitzen im gleichen Boot" und "Du bist mir wichtig". "Bleib gesund" begegnet aktuell allenthalben und zwar – und das ist eher unüblich – sowohl in der gesprochenen als auch in der förmlichen, geschriebenen Sprache, z. B. im beruflichen Kontext (im Vergleich: "Tschüs" schreibt man selten unter eine Mail, auch nicht, wenn man den/die Empfänger*in gut kennt, "Liebe Grüße" würde man nicht sagen). Dabei kann die Formel entweder in Kombination mit einer üblicheren Konstruktion ("Herzliche Grüße und bleiben Sie gesund!") vorkommen als auch alleine.
All dies sind natürlich nur erste Beobachtungen. Um herauszufinden, ob "Bleib gesund" tatsächlich so häufig ist, wie es die Autorin dieser Zeilen empfindet, wo die Formel wirklich überall vorkommt und in welchen Varianten, können erst langfristig Untersuchungen an geeignetem Sprachmaterial zeigen. Dann wird auch zu erkennen sein, ob sie mit dem Abklingen der Corona-Pandemie ebenfalls wieder weniger frequent wird oder ob sie dauerhaft in das Repertoire der Abschiedsformeln eingeht. Möglich wäre das, auch weil Routineformeln dazu neigen, mit der Zeit ihre ursprüngliche Bedeutung zu verlieren und so vielfältiger einsetzbar werden (der Gebrauch von "Auf Wiedersehen" impliziert z. B. nicht zwingend, dass ich den/die Angesprochene*n auch wirklich wiedersehen werde/möchte).
Charlotte Rein
Literatur:
- Maurice Kauffer (2013): Phraseologismen und "stereotype Sprechakte" im Deutschen und im Französischen. In : Linguistik online 62, 5, S. 119–138.
- Heinz-Helmut Lüger (2007) Pragmatische Phraseme: Routineformeln. In: Harald Burger (Hrsg.): Phraseologie. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft Band 28.1). Berlin, S. 444–459.
- Elmar Schafroth (2020): XI: Routine- und Gesprächsformeln. https://phraseologie.phil.hhu.de/, Web, 26.03.2020, In: "Phraseologie-Tutorials – ein digitales Lehrprojekt". URL: https://phraseologie.phil.hhu.de/lektion11/.