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Das digitale Defizit
Die Rolle der analog/digitalen Anwesenheit in Bonns Klimaprotesten
Netzstreik fürs Klima
Ich klicke auf “Meeting starten”. Nach einigen Sekunden Verbindungsaufbau erscheint Stefan (21), ein Klimaaktivist aus Bonn, auf meinem Laptopbildschirm. Natürlich findet das Interview digital statt - persönliche Treffen sind gerade nicht möglich. Aber nicht nur unser Alltag muss sich den Herausforderungen der Pandemie stellen. Fast alle Aktivitäten finden nun online statt, erzählt Stefan. So auch sein Engagement in den Bonner Klimaprotesten:
“Jetzt versucht man den Offline-Protest online zu verschieben, aber das ist mehr aus der Not geboren und nicht weil man denkt, dass das strategisch eine super Sache ist. Wir müssen weitermachen, deswegen machen wir es online. Es ist so ein bisschen ein Überlebenskampf.”
Soziale Medien und Online-Proteste waren schon vor der Pandemie ein etabliertes Werkzeug der Bonner Klimainitiative. Mit der Pandemie gewinnen diese Onlinepraktiken und digitalen Räume nochmal an Bedeutung. Über Kanäle wie Instagram, Facebook oder die Messenger-Plattform Discord verbreiten Klimaaktivist*innen Informationen, mobilisieren neue Mitglieder oder Follower und leisten einen wichtigen Teil ihrer Organisationsarbeit. Mit Beginn der Pandemie wurden diese digitalen Möglichkeiten schnell und innovativ ausgeweitet und verschiedene, kreative Formen von Online-Protesten genutzt. Livestreams, digitale Bildungsangebote wie Vorträge und Plena sind nur wenige Beispiele, wie online Handlungsmöglichkeiten geschaffen werden. Dies ermöglicht nicht nur eine digitale Beteiligung, sondern auch ein Fortbestehen der Bonner Klimaproteste im Kampf gegen den Klimawandel. Stefan nahm beispielsweise an der “Public Climate School” teil, die von verschiedenen Klimainitiativen im deutschsprachigen Raum ein alternatives Schul- und Studienprogramm über die Videoplattform YouTube organisierten. Auch gab es im vergangenen Jahr 2020 immer wieder Aufforderungen zu Netzstreiks, bei denen Aktivist*innen aus Bonn von Zuhause aus mitmachen konnten und unter anderem Bilder von ihren Protestplakaten posteten.
“Echte” Klimaproteste?!
In Bezug auf die aktuellen Aktivitäten sprechen meine Interviewpartner*innen häufig mit einem zeitlichen Verweis auf “früher”. Dies scheint zumindest gedanklich auf eine neue Normalität der Klimabewegung mit den pandemiebedingten Einschränkungen hinzuweisen. Denn coronakonforme, analoge Aktionen, in denen man wie “früher” üblich zusammenkam, sind deutlich seltener geworden. In Bonn fanden nur eine Handvoll Demonstrationen auf der Straße statt, etwa der Globale Klimastreik am 25.09.2020 oder die Raddemo “Tausendfüßler” im November 2020. Obwohl hierfür besondere Hygienekonzepte ausgearbeitet werden mussten, die mit großem Aufwand verbunden waren, scheinen laut Stefan gerade diese analogen und “echten” Aktionen der “real deal” zu sein.
“Das Ganze ist für mich um einiges eingeschlafen. Das, was die Organisation zusammenhält, ist, wenn man etwas offline macht [...]. Online hast du kein Highlight und offline da geht wirklich was”, erklärt Stefan.
Auch Felix, Student und Klimaaktivist aus Bonn, führt aus: “Bei Online-Protesten muss ich ein bisschen gähnen, weil es eine minimale, bisschen langweiligere Form von Aktivismus ist.” Im Englischen wird manchmal von "slacktivism" („schlaffer/fauler Aktivismus“), “clicktivism” („Klick-Aktivismus“) oder “armchair activism” („Lehnstuhl-Aktivismus“) gesprochen. Die Begriffe verweisen auf den angeblich geringen Aufwand von Online-Protesten. Diese Ansichtsweise ist stark umstritten, denn Online-Proteste werden so auf Klicks reduziert. Allerdings ist es eine Möglichkeit, die zu verstehen hilft, warum auch andere Klimaktivist*innen wie Emma und Matilda Online-Proteste als “charakterlos” oder “nicht so beeindruckend” beschreiben. Diese Protestform habe “nicht so viel Power” und mache außerdem “keinen Spaß”, findet Emma.
Wie geht die Kulturanthropologie mit dieser Thematik um? Der Grund warum “offline wirklich was geht”, wie Stefan es beschreibt, ist weil Akteur*innen “offline” ihre körperliche Wirkmächtigkeit erleben. Genauer gesagt vermittelt die physische Präsenz bei Protesten ein Gefühl der direkten Einflussnahme. Vom persönlichen und scheinbar “echten” Austausch mit Gleichgesinnten, über die Reaktionen von Menschen oder oppositionellen Akteur*innen im Stadtraum, bis hin zur disruptiven Erfahrung, scheint die Körperlichkeit für Aktivist*innen also eine zentrale Rolle zu spielen. Diese körperliche Wirkmächtigkeit, die Demonstrant*innen auf der Straße erleben, kann durch Online-Proteste nicht ersetzt werden. Ein Gemeinschaftsgefühl entsteht digital zum Beispiel nur sehr langsam. Dabei ist es laut Protestforscher Philipp Knopp für die Demonstrant*innen wichtig, “ihren Körper aufs Spiel zu setzen, um Solidarität aufzubauen”. Wie auch die Protestforscher Moritz Sommer und Sebastian Haunss (2020) beschreiben, erreichen Online-Proteste weder das gleiche Disruptionspotenzial noch die Reichweite wie Massenproteste es in der Vergangenheit getan haben. [1] Darüber hinaus fehlt ein “identitätsstiftender Anker”, der beispielsweise über die regelmäßig stattfindenden Freitagsproteste hergestellt wurde.
Der langanhaltende “Coronaschlaf”
So manchen Klimaaktivist*innen erscheint es sinnvoller und einfacher, die Pandemie abzuwarten, um sich anschließend wieder im gewohnten Aktionsraum zu engagieren. Dabei wird stets betont, dass der Klimaschutz weiterhin ein zentrales und wichtiges Thema im Leben der Klimaaktivist*innen ist. Die Realität der Pandemie, die augenscheinlich alles verändert hat, schafft allerdings andere (temporäre) Prioritäten. Emma zum Beispiel konzentriert sich jetzt mehr auf ihre eigene Gesundheit. Die Bonner Klimaproteste erleben augenscheinlich eine Art Pause, die den Eindruck einer “eingeschlafenen” Klimabewegung erwecken kann.
Zentral für die Bonner Klimaproteste ist, dass die Klimakrise in der öffentlichen Debatte nicht an Wichtigkeit verlieren, nicht von der Bildfläche verschwinden darf. Wer einen Blick auf einschlägige digitale Plattformen der Bonner Ortsgruppen wirft, der/dem wird klar, dass die Organisationen konstant daran arbeiten, die Klimainitiative in der Pandemie nicht untergehen zu lassen. Trotzdem scheint manchen Demonstrant*innen ein wichtiger Aspekt des Aktivismus, nämlich die körperliche Wirkmächtigkeit, verloren gegangen zu sein. Bevor ich auf “Meeting beenden” klicke, rauft Stefan sich die Haare und fragt kopfschüttelnd “Wann kann man endlich wieder die wichtigen Veranstaltungen machen?”. Seine Frage bleibt jedoch im (digitalen) Raum unbeantwortet.
Jasmin Sina
Literatur
[1] Haunss, Sebastian/Sommer, Moritz: Fridays for Future - Die Jugend Gegen Den Klimawandel : Konturen Der Weltweiten Protestbewegung. X-Texte Zu Kultur Und Gesellschaft. Bielefeld, 2020.
Mitmachen: Wie sieht Ihr Pandemie-Alltag in Bonn aus?
Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Forschungsprojekts Bonndemic - Pandemischer Alltag in Bonn an der Abteilung Kulturanthropologie der Universität Bonn. Das LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte ist Kooperationspartner dieses Projektes. Wenn Sie Lust haben, den Kolleg*innen von Ihrem Alltag in Bonn während der Pandemie zu erzählen, finden Sie hier weitere Informationen und Kontaktdaten.
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