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Gewerkschaftlicher Protest von Studierenden am 1. Mai

Der 1. Mai ist ein bundesweiter Feiertag und international als „Tag der Arbeit“ bekannt. Im nordrhein-westfälischen Feiertagsgesetz ist er als „Tag des Bekenntnisses zu Freiheit und Frieden, sozialer Gerechtigkeit, Völkerversöhnung und Menschenwürde“ aufgeführt.

Trafokasten mit mehrfarbigen Graffiti. Über roten Ornamenten ist mit blauer Schrift der Slogan „1.Mail Nazi-Frei“ gesprayt. Grafitti an einem Stromkasten mit Aufruf zum Protest gegen Nazis am 1. Mai. Bonn 2017, Foto: Archiv des Alltags im Rheinland im LVR- ILR)

Die Gewerkschaften haben in den vergangenen Jahrzenten vieles erkämpft, was für uns heute selbstverständlich ist. Darunter zum Beispiel die 40-Stunden-Woche, ein Urlaubsanspruch von mindestens drei Wochen und gesetzlicher Kündigungsschutz. Der 1. Mai wird seit der Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) 1949 traditionell nicht nur durch politische Kundgebungen gefeiert, sondern auch umrahmt von kulturellen Veranstaltungen.

Eine Herausforderung, mit der sich die Gewerkschaften in Deutschland seit einigen Jahren konfrontiert sehen, sind sinkende Teilnehmerzahlen bei den 1. Mai Veranstaltungen und vor allem der demografische Wandel. Darüber hinaus brachte die Covid19-Pandemie immense Schwierigkeiten bei der Durchführung von Veranstaltungen mit sich. Welche Auswirkungen hat das alles auf die traditionellen politischen und kulturellen Aktivitäten rund um den 1. Mai? Wie veränderte sich die Protestkultur durch die Pandemie?

Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels stellen junge Studierende eine wichtige Zielgruppe für die Zukunft von gewerkschaftlicher Arbeit dar. Daher stellt sich die Frage, was Studierende – die in der Regel noch nicht in einem Vollzeit-Arbeitsverhältnis beschäftigt sind – dazu motiviert, sich gewerkschaftlich zu engagieren. Um Antworten darauf zu bekommen, befragte ich im Rahmen meiner studentischen Arbeit am Institut für Archäologie und Kulturanthropologie der Universität Bonn drei gewerkschaftlich engagierte Studierende zu ihrer Motivation, ihrer Beteiligung und ihren Erfahrungen zum 1. Mai vor und während der Pandemie.

Der Weg zur Gewerkschaft

Während der Interviews stellte sich heraus, dass die Gesprächspartner*innen alle vor dem Studium erstmalig mit einer Gewerkschaft in Kontakt kamen. So berichteten die Gesprächspartner*innen von ersten Berührungspunkten zur Gewerkschaftsjugend auf einer Gegendemonstration zu einem Nazi-Aufmarsch in der Heimatstadt und von ersten Gewerkschaftserfahrungen in der Berufsausbildung.

So unterschiedlich die Wege auch waren, die die interviewten Personen zur Gewerkschaftsmitgliedschaft führten, einige Parallelelen zeigten sich dafür in der Motivation, selbst aktiv zu sein: Zentraler Motivationsfaktor für das studentische Engagement in einer Gewerkschaft ist die Möglichkeit, eigene Positionen und Ideen einzubringen. Dabei ist es für die befragten Studierenden zweitrangig, dass sie nicht in einem Vollzeitarbeitsverhältnis beschäftigt sind. Die Gewerkschaft bietet für sie vielmehr die Möglichkeit, sich als Teil eines kollektiven Verbundes gegen Missstände in der Gesellschaft und in den Betrieben zu organisieren und Machtverhältnisse zwischen verschiedenen Akteur*innen in die Gerade zu rücken. Zum Beispiel das Verhältnis von Arbeitnehmer*innen gegenüber Arbeitgeber*innen oder sozialer Minderheiten gegenüber der Mehrheitsgesellschaft.

Die Protestformen

Die Covid-19 Pandemie hat in jeglichen Lebensbereichen für Veränderungen gesorgt. Gerade im öffentlichen Raum wurde auf die Einhaltung der neuen Regeln und Gesetze geachtet, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Für Gewerkschaftsmitglieder bedeutete dies im ersten Pandemiejahr große Verunsicherung. Dies führte dazu, dass der Tag der Arbeit 2020 nicht so gefeiert werden konnte wie gewohnt.

„So selbstverständlich wie der 1. Mai vor der Pandemie war, so unselbstverständlich war er im ersten Pandemiejahr.“ reflektierte ein Befragter. In Bonn habe es demnach nur kleinere Kundgebungen einzelner Gewerkschaften gegeben, statt einer Gemeinschaftsveranstaltung des DGB. Was neu war: Die Veranstaltung war an strenge Auflagen geknüpft, etwa das Führen einer Teilnehmendenliste für eine potentielle Kontaktnachverfolgung bei einer Infektion. Außerdem war der Kundgebungsbereich mit Flatterband abgegrenzt, damit niemand einfach so dazu kommen konnte und alle Oberflächen mussten während der Veranstaltung mehrfach desinfiziert werden. Für die Befragten hatte das nichts vom klassischen 1. Mai, denn am Tag der Arbeit gehe es um „Arbeiterbewegung statt Arbeiterstillstand“. Die schwindende Unsicherheit spiegelte sich dann aber am 1. Mai 2021 wider. Zwar war die Teilnehmendenzahl noch immer nicht so hoch wie vor der Pandemie, dafür schon deutlich höher als noch 2020. Ein Grund dafür könnten auch die stärker digitalisierten Angebote des DGB und der DGB-Jugend gewesen sein: Die Kundgebungen 2021 wurden auch in einem Livestream angeboten, außerdem bot die DGB-Jugend Vorlagen zum Screenshotten an, die für die sozialen Netzwerke genutzt werden sollten.

Grafik des DGB mit einem pink eingefärbten Fotomotiv, dass protestierende junge Leute zeigt. Sie halten Banner „Standing Solitarity“. Text auf der Grafik: „Diese Person ist stolze Gewerkschafter_in. Am 1. Mail und jeden Tag. Mitmachen! Bild in deiner Story teilen.“ Online ein Zeichen setzen: Die DGB-Jugend rief dazu auf, am Tag der Arbeit in den sozialen Netzwerken auf die eigene Gewerkschaftszugehörigkeit hinzuweisen. (Screenshot der Instagram Story der DGB-Jugend, 29.04.2021)

Die Befragten waren sich einig: Wirkliche Sichtbarkeit erlangt man nur auf der Straße. Deshalb hoffen sie im Hinblick auf die zukünftigen 1. Mai-Feiertage auf mehr Aktivismus außerhalb der „Blasenumgebung des Internets“. Auch wenn neue Protestformen wie Abstand halten, Maske tragen und Flatterband weiterhin dazugehören.

Die Interviews wurden im Juni 2021 geführt, anonymisiert und liegen bei der Autorin. Die Autorin hat dieses empirische Material im Rahmen eines Praktikums im LVR-ILR für einen Beitrag in der Rubrik Alltag in der Krise - die Krise im Alltag aufbereitet.

Tabea Meuter

Literatur