LVR-Institut für Landeskunde
und Regionalgeschichte
Logo LVR

Aushänge, Tafeln, Transparente – schriftliche Kommunikation in Krisenzeiten

Aushänge und Zettel, die hinter Glasscheiben, an Türen oder den Ampelmast geklebt sind, Plakate, die auf Aufstellern angebracht sind, beschriebene Tafeln, Transparente, die aus den Fenstern hängen: Die schriftliche Kommunikation hat in den letzten Wochen im Kontext der Corona - Pandemie in meinem Wohnviertel in einer westfälischen Großstadt zugenommen. Diese Medien kommunizieren, oftmals aus dem Innenraum hinaus, in den öffentlichen Raum hinein.

Eingangstür eines Fahrradladens mit drei Aushängen. Eingangstür eines Fahrradladens mit drei Aushängen. Foto: Andrea Graf Plakataufsteller vor dem Eingang zu einer Bäckerei, Aufschrift: Bitte nur einzeln eintreten Danke. Plakataufsteller vor dem Eingang zu einer Bäckerei, Aufschrift: Bitte nur einzeln eintreten Danke. Foto: Andrea Graf

Neben der deutlichen Aussage „Stay home“, wie sie zum Beispiel an den Fenstern eines Tattoo-Studios prangt, sollen darüber vor allem Verhaltensregeln vermittelt werden, um Mobilität oder den Einkauf ohne Kontakt zu anderen Menschen zu ermöglichen. Ein Aushang im Infoladen des ADFC kommuniziert: „Bleibt gesund! Bleibt solidarisch! Fahrt Rad! #NachbarschaftsChallenge“. Das Einhalten eines Sicherheitsabstandes zwischen Personen (social distancing) dient der Minimierung des Ansteckungsrisikos, um die weitere Ausbreitung der Grippe zu verlangsamen (flatten the curve). Durch diese Maßnahmen versuchen wir uns und unsere Mitmenschen zu schützen.
So mahnen selbst gestaltete Aushänge im Fenster einer Bäckerei, einen Abstand von zwei Metern einzuhalten, an der zweiten Bäckerei wird man von einem Aufsteller mit der Bitte, nur einzeln einzutreten, bereits vor der Tür empfangen. An der Apotheke mit schlauchartigen Räumlichkeiten weisen Schilder der einen Tür den Eingang und der anderen die Funktion als Ausgang zu. Gleichzeitig wird der Kunde informiert, dass Atemschutzmasken wieder vorrätig sind. Im Supermarkt geht es ohne Schrift, hier wurden Markierungen auf den Boden geklebt, die die jeweilige Warteposition in der Schlange vor dem Kassenbereich festlegen.

Ein zweiter Teil der Aushänge verweist auf alternative Angebote in Zeiten der Krise: An der Fußgängerampel klebt ein Zettel der Corona - Hilfe Münster, die Menschen mit Bedarf an Unterstützung zum Beispiel Hilfe beim Einkauf, für Kinder- und Hundebetreuung anbietet.
Der Kosmetiksalon richtet sich in seinem Türaushang an die „besten Kundinnen und Kunden der Welt“ und ist für diese bei „Hautfragen bzw. Hautproblemen telefonisch“ und über Mail sowie WhattsApp erreichbar, Produkte können nach Hause bestellt werden. Ebenfalls auf alternative Erreichbarkeiten der Betreiber*innen wird in einer Schneiderei und einem Friseurgeschäft verwiesen. Zwei Fahrradgeschäfte erhalten den Reparaturbetrieb aufrecht, wogegen der Verkaufsraum geschlossen ist. Ein Geschäft für elektronische Zigaretten und Postdienstleistungen informiert per Aushang darüber, dass es weiterhin „GEÖFFNET“ habe. Ein Kiosk formuliert seine eingeschränkten Öffnungszeiten über einen gelben Zettel im Fenster mit der Aufschrift: „CORONA ZEITEN 10.00-20.00“ daneben „kein Aufenthalt im Kiosk. Der Verkauf geht weiter“.

Aushänge hinter Glasscheibe eines Kiosk. Aushänge hinter Glasscheibe eines Kiosk. Foto:Andrea Graf Aushänge hinter Glastür einer Apotheke. Aushänge hinter Glastür einer Apotheke. Foto:Andrea Graf

Auf der Tafel eines italienischen Restaurants liest man: „Liebe Gäste!!! Wir haben gute Neuigkeiten für Sie. Ab sofort liefern wir auch zu Ihnen nach Hause! Bestellung über…“ Eine weitere Pizzeria führte ebenfalls bedingt durch die Schließung des Restaurantbetriebs einen eigenen Lieferservice ein. Mithilfe eines Aushangs sowie rotweißem Absperrband bittet der Betreiber unter dem Motto #supportyourlocalpizzadealer Parkplätze für die sechs Lieferautos sowie -fahrräder freizuhalten: „Zusammen. Für euch. Bitte lasst für uns die Parkplätze frei. Wir benötigen sie händeringend für unseren Lieferservice für die nächste Zeit. Wir danken euch von Herzen. Bleibt gesund. Eure… Crew #stayhealthy #flattenthecurve“.

Diejenigen, die nicht auf Lieferservice umstellen können und ihren Gastronomiebetrieb schließen mussten, wünschen den Gästen auf Fensterscheiben, Aushängen oder beschriebenen Tafeln: „Bis bald. Bleibt gesund. Love U All“ oder „Bleibt gesund! Hoffentlich sehen wir uns bald wieder.“ In der letzten Aussage schwingt neben dem guten Wunsch für die Gäste auch die realistische Angst mit, dass der eigene Betrieb die Krise wirtschaftlich nicht übersteht, denn deren Andauern bleibt ungewiss. In den letzten Tagen wurden daher auch in NRW Soforthilfemaßnahmen für Künstler- und Freiberufler*innen, Selbständige und Kleinunternehmer*innen verabschiedet, als Existenzsicherung, um die Einnahmeausfälle und daraus entstehende akute Liquditäts-Engpässe zu überbrücken.

Der Text auf einem Großteil der dokumentierten Aushänge verweist auf einen zentralen Wert, den der Solidarität. An einem geschlossenen Café steht auf den beiden Tafeln, an denen normalerweise das Speisen- und Getränkeangebot offeriert wird, links: „Solidarität bei Corona darf nicht an den Außengrenzen enden. Lasst niemanden zurück“ und rechts: „Asyl ist Menschenrecht auch in Zeiten von Corona“, dazwischen hängt ein Transparent mit der Aufschrift: „Leave no one behind“.
Seit dem 21.3.2020 hängen auch an Hauswänden Transparente mit dieser oder folgenden Aufschriften: „Solidarität hört nicht beim Nachbarn auf“, „Open hearts open borders“, „Fluchtwege freihalten“, „grenzentöten“ oder einfach „Solidarity“.
Die Bedeutung dieses Begriffs erfährt mit seiner schriftlichen Übertragung auf das Transparent als Protestmedium auch eine erweiterte inhaltliche Bedeutung.

Ein Aushang zwischen zwei Fenster, auf dem Leave no one behind steht. Darunter steht: Wir haben Platz. Viele Aushänge fordern Solidarität mit geflüchteten Menschen. Foto: Andrea Graf Fassade eines Wohnhauses, ein Transparent hängt aus dem Fenster, Aufschrift Mitte: Me-dizinische Versorgung für ALLE! Abbildung zweier Köpfe, linker Kopf Mundschutz vor dem Mund, Aufschrift: Coronavirus; rechter Kopf Mundschutz vor den Augen, Aufschrift; Refu-gee Situation in Greece. Foto: Andrea Graf Foto: Andrea Graf

Der 21. März ist der Internationale Tag gegen Rassismus; im Gedenken an die Opfer, die bei einer Demonstration gegen die Apartheidsgesetzte 1960 im südafrikanischen Sharpeville von der Polizei erschossen wurden, wird er seit 1966 begangen.
Dieses Jahr rief das lokale Bündnis gegen Abschiebungen zu diesem Anlass auf seiner Homepage zu einer Solidaritätsaktion auf, wobei über Transparente an den Hauswänden aus der Kontaktsperre und dem Versammlungsverbot heraus kommuniziert und demonstriert wurde: „Wir rufen dazu auf Solidarität mit Schutzsuchenden an der EU-Außengrenze zu zeigen und am 21.3. die Botschaft von unseren Wohnungen aus auf die Straßen, die Innenhöfe und in die Öffentlichkeit zu tragen. Nicht wegschauen – hinschauen. Zeigt Haltung, bezieht Position und bleibt solidarisch!“ Die Organisation Seebrücke fordert zudem jeden Einzelnen auf, ihre Kampagne #LeaveNoOneBehind kreativ zu unterstützen und stellt dafür, ebenfalls online, Aktionsideen vor.

Worauf hiermit angespielt wird, ist die restriktive Flüchtlingspolitik, die in Zeiten der Corona-Krise mit der Schließung der EU-Außengrenzen seit dem 18. März eine neue Dimension angenommen hat. Das Asylrecht in Griechenland ist außer Kraft gesetzt. Deutschland hat seine Bereitschaft, unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen vorerst zurückgezogen.
Allein in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln leben mindestens 40.000 Menschen auf engstem Raum ohne Zugang zu Hygienemitteln, ausreichend Wasser oder ärztlicher Versorgung. Social Distancing ist beim Schlangestehen für den Toilettengang oder eine Mahlzeit, die Beachtung der einfachen Hygienenregeln wie dem Händewaschen ohne ausreichend Wasser und Seife unmöglich. Durch ihre Lebensumstände sind diese Menschen dem Corona-Virus ungeschützt ausgeliefert, zum Teil gehören sie durch ihr Alter, Vorerkrankungen oder Unterernährung zur Risikogruppe.
Die Forderung der Ärzt*innen und Helfer*innen vor Ort besteht darin, die Lager zu evakuieren und die Menschen zumindest auf das griechische Festland zu bringen, bevor dort die Krankheit ausbricht und zu einer humanitären Katastrophe führt.
Die Botschaften auf den Transparenten wie das Motto leavenoonebehind beziehen sich darauf, auch diese Menschen zum Wir zu zählen, welches wir in den letzten Wochen so vielfach beschwören.

Seit Anfang April hat sich die Botschaft in meinem Viertel weiterverbreitet. Sie findet sich nun ebenfalls an einem Gitter, welches einen Bolzplatz begrenzt. Dieser Ort ist als Gabenzaun überschrieben und markiert damit eine Stelle an der Menschen Spenden ablegen können. Hier finden sich neben Kleiderspenden, auch Nahrungsmittel und Getränke, Tiernahrung und Hygieneartikel in Plastiktüten, denn, so informiert ein Aushang: „Wegen der Corona-Pandemie haben viele soziale Einrichtungen wie Tafeln, Suppenküchen etc. aus Infektionsschutzgründen geschlossen. Menschen, die auf der Straße leben und nicht die finanziellen Mittel haben, sich Lebensmittel oder Kleidung zu kaufen, leiden unter diesen Umständen. […] Wir fordern euch auf, seid sozial und spendet! Ihr seid nicht die Einzigen in dieser Krise. Zusammen sind wir stark!“

Zaun mit Plastiktüten und Kleidung behangen und davor liegend, zwei Schilder mit den Aufschriften: #LeaveNoOneBehind und Solidarität hat keine Grenzen Zaun mit Plastiktüten und Kleidung behangen und davor liegend, zwei Schilder mit den Aufschriften: #LeaveNoOneBehind und Solidarität hat keine Grenzen. Foto: Andrea Graf Zaun mit Plastiktüten und Kleidung behangen, drei Schilder mit den Aufschriften: Nehmt euch was ihr braucht; Hier bitte notieren was noch gebraucht wird; Hundefutterspenden von Underdogs Münster e.V. Zaun mit Plastiktüten und Kleidung behangen, drei Schilder mit den Aufschriften: Nehmt euch was ihr braucht; Hier bitte notieren was noch gebraucht wird; Hundefutterspenden von Underdogs Münster e.V.. Foto: Andrea Graf Zaun mit Plastiktüten und Kleidung behangen, Transparent mit Aufschrift Gabenzaun und zwei Aushängen Zaun mit Plastiktüten und Kleidung behangen, Transparent mit Aufschrift Gabenzaun und zwei Aushängen. Foto: Andrea Graf

Quellenverzeichnis: