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Homeoffice - Was "Heimarbeit" und "Offizier" sprachhistorisch gemeinsam haben
Aufstehen, duschen, frühstücken und nur wenige Meter bis zum Arbeitsplatz – so sieht seit einigen Wochen der Arbeitsalltag vieler Menschen aus, die im Homeoffice arbeiten. Diente der Begriff in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts zunächst nur für den heimischen Arbeitsplatz, so wurde seine Bedeutung später ausgeweitet und auch die Arbeitsform selbst damit bezeichnet. Homeoffice – klingt wie ein englisches Wort. Leider trügt dieser Schluss ein wenig, denn zwar stammt der Begriff aus dem Englischen (home bedeutet 'Zuhause, Wohnung, Heim' und office 'Büro, Geschäftsstelle'), bezeichnet in England aber etwas ganz anderes als hierzulande, nämlich das dortige 'Innenministerium' (Home Office).
Beispiel eines Homeoffices, Fotografin: Sarah Puckert, ©LVR-ILR
Wörter, die aus der englischen Sprache in eine nicht englische Sprache übernommen werden, nennt man Anglizismen. Ändert sich in der aufnehmenden Sprache die Bedeutung (wie bei Homeoffice) oder ist das Wort im Englischen unbekannt, spricht man von Pseudoanglizismen (auch Scheinanglizismen). Wie bei Homeoffice gilt das auch für unser Handy: Das Wort existiert im Englischen zwar als Adjektiv handy, bedeutet dort aber 'handlich' und wird natürlich nicht für Mobiltelefone verwendet (British English: mobile phone, American English: cell phone). Auch Oldtimer, wie wir gerne unsere historischen Autos nennen, ist ein Pseudoanglizismus. Im Englischen wird mit diesem Begriff im Gegensatz zum Deutschen ein alter Mann bezeichnet (old timer 'alter Mann', classic/vintage car 'historisches Auto') …
Der Bedarf an Benennungen für neue Entwicklungen, Techniken oder Erfindungen ist groß. Da englische Wörter für viele Sprecher des Deutschen leicht zu verstehen oder zu erschließen sind und "modern" klingen, werden sie häufig gewählt: Der englische Ausdruck wird übernommen, teilweise wird die eigentliche Bedeutung des englischen Wortes ausgeblendet oder ausgeweitet, um den Bedarf einer neuen Erfindung oder Benennung im Deutschen zu befriedigen. Aber nicht nur englische Begriffe werden häufig ins Deutsche übernommen: Schon vor mehreren Jahrhunderten waren zunächst Entlehnungen aus dem Lateinischen (lat. speculum 'Spiegel', lat. via strāta 'Straße', lat. crux 'Kreuz') und dem Griechischen (griech. cheirūrgós 'Chirurgie', griech. epidḗmios 'Epidemie', griech. mathēmatikḗ 'Mathematik'), dann Gallizismen und schließlich Entlehnungen aus dem Französischen (frz. balcon 'Balkon', frz. hôtel 'Hotel', frz. veste 'Weste') gängig. Mit all diesen Fremdsprachen gelangten zahlreiche neue Wörter in die deutsche Sprache, vor allem in den Fach- und Bildungswortschatz. Während der Einfluss der anderen Sprachen mittlerweile deutlich abgenommen hat, ist Englisch momentan modern. Bereits im 17. Jahrhundert wurden einzelne politische Begriffe (Opposition, Parlament, Streik) aus dem Englischen entlehnt, später dann auch Begriffe der Philosophie und des Handels (Budget, Banknote). Die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert brachte ebenfalls zahlreiche weitere englische Begriffe in die deutsche Sprache, darunter Dampfschiff und Lokomotive, aber auch Begriffe aus dem Mode- und Sportbereich (Smoking, Jeans, Match, Trainer). Bis zum Ersten Weltkrieg war der Einfluss des britischen Englisch groß, ab dem Zweiten Weltkrieg stieg dann auch der des amerikanischen Englisch deutlich an.
Aber zurück zum Homeoffice: Die Gebrauchsfrequenz des Begriffs steigt seit 2014 kontinuierlich an; im Jahr 2019 zeigt sich dann noch einmal ein drastischer Anstieg (vgl. OWID). Der Ursprung des Wortes liegt dabei im Lateinischen, denn office geht zurück auf officium, offizium, das 'Dienstpflicht' (veraltet) bedeutet und sich im Rahmen der katholischen Kirche auf verschiedene Bereiche beziehen kann: früher höchste kuriale Behörde; Messe, besonders an hohen Feiertagen; Chorgebet; Amt und damit verbundene Verpflichtungen eines Priesters (vgl. DWDS). Entstanden ist es wohl aus opus facere 'sein Werk machen' In der deutschen Sprache finden sich weitere Belege dieses Wortes, etwa im Berufsstand Offizier und im Adjektiv offiziell, das so viel wie 'verpflichtend' bedeutet. Im Dialekt gibt es wohl die Form Homeoffice nicht, aber man kann sie bilden – aus den dialektalen Formen für 'Haus' und dem englischen Begriff office, quasi eine Neuschöpfung: Hüssoffice, Huusoffice oder auch Heemoffice und Heämoffice.
Sarah Puckert
Literatur:
- Ulrich Busse: Typen von Anglizismen: von der heilago geist bis Extremsparing - aufgezeigt anhand ausgewählter lexikographischer Kategorisierungen In: Stickel, Gerhard (Hrsg.): Neues und Fremdes im deutschen Wortschatz. Aktueller lexikalischer Wandel. Berlin/New York: de Gruyter, 2001, S. 131-155.
- DWDS. Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. Das Wortauskunftssystem zur deutschen Sprache in Geschichte und Gegenwart, hrsg. v. d. Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. [URL: https://www.dwds.de/].
- Éva Kovács: Anglizismen im Deutschen: Eine Gefahr oder eine natürliche Erscheinung? In: Germanistische Studien 7/2009, S. 181-190.
- Sabine Krome: Skypen, faken, toppen und liken: Anglizismen im Deutschen als Indikatoren gesellschaftlichen und orthografischen Wandels. In: Muttersprache 2/2018, S. 105-122.
- Online-Wortschatz-Informationssystem Deutsch (OWID). Hrsg. vom IDS Mannheim. [URL: https://www.owid.de/index.jsp].
- Rheinisches Wörterbuch. […] hrsg. und bearb. von Josef Müller u. a. Bonn, Berlin 1928—1971. [URL: http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=RhWB].
- Astrid Stedje: Deutsche Sprache gestern und heute. Einführung in die Sprachgeschichte und Sprachkunde. 6. Auflage. Neu bearbeitet von Astrid Stedje und Heinz-Peter Prell. Paderborn 2007.
- Doris Steffens: Von Pseudoanglizismen und Kurzzeitwörtern. Zwei Aspekte der Beschreibung von neuem Wortschatz im Neologismenwörterbuch im IDS-Portal OWID. In: Sprachwissenschaft Jg. 42, 3/2017, S. 275-304.
- Joseph Maria Stowasser, Fritz Lošek (Hrsg.): Stowasser. Lateinisch-deutsches Schulwörterbuch. Begr. von J. M. Stowasser, M. Petschenig, F. Skutsch. Hrsg. von Fritz Lošek unter Mitwirkung von Barbara Dowlasz. Völlige Neubearbeitung. Wien/München 2016.