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Ausnahmealltag – Stillstand ist kein Einüben in den Ruhestand
Ausgerechnet an einem Freitag, dem 13. begann alles: von einer Stunde auf die andere kippte die Stimmung um. Hatte man vorher noch Witze über Corona und die „Hysterie“ mancher Zeitgenossen gemacht, stellten selbst die Sorglosesten jetzt fest, dass sie die Sache anders sähen.
Was war geschehen? Schulen, Kitas, Universitäten und andere Einrichtungen wurden bis auf weiteres geschlossen, Büros in den Shutdown-Modus versetzt und Arbeitnehmer in die Heimarbeit geschickt. Das Wort Coronakrise wurde geboren. Die WDRaktuell-App ploppte mit einer Eilmeldung nach der anderen auf, weitere Maßnahmen zur Einschränkung des öffentlichen Lebens wurden beinahe stündlich angekündigt, im Bonner General-Anzeiger hieß es „Das Land stellt seinen Betrieb ein“ .
Was bedeutete das für meinen persönlichen Alltag? Abgesehen von der großen Sorge um meine alten Eltern (89 u. 90 J.), zu denen ich nun vorerst – wegen der Ansteckungsgefahr und auch wegen des eingeschränkten Bahnverkehrs - nicht mehr fahren kann, und um meine beiden Schwestern und eine Nichte in Pflegeberufen, finde ich all diese Maßnahmen - unheimlich. So etwas hat man ja noch nie erlebt, ein ganzes Land im Shutdown.
Ein (notwendiger – man beachte die Rechtfertigung des Unterwegsseins) Gang durch die Bonner Innenstadt mit all den geschlossenen Läden und Lokalen mutet ebenso surreal an wie die „Kontaktsperre“ und das damit verbundene Ausweichen auf die andere Straßenseite bei zufälligen Begegnungen mit anderen Menschen. Selbst im Wald klappt das, zunächst mit entschuldigendem Grinsen, dann wie selbstverständlich. Unheimlich, erschreckend, wie schnell man sowas verinnerlicht.
Ebenso erschreckend: wie schnell manch Einem Wörter wie „Hamsterkäufe“, „Einschränkungen“, „Helden“, „Arbeit an der Front“ (!), „Ermächtigung“ über die Lippen kommen – ein Vokabular, von dem ich glaubte, es sei ausgestorben, zumindest hier zu lande, und das in meinen Eltern üble Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend hochkommen lässt. Alltäglich ist das alles nicht.
Und mein persönlicher Alltag, meine Routine? Als Teilzeitbeschäftigte und nachmittägliche Nachhilfelehrerin hatte ich einen sehr strukturierten Tagesablauf. Jetzt mache ich Homeoffice; und nachmittags kommen keine Schüler mehr, was mich finanziell schädigt, durch meinen „Notgroschen“ (auch so ein Wort) aber abgefangen werden kann. Heimarbeit ist eine völlig neue Erfahrung für mich, ich vermisse meine KollegInnen, das Mit-einander, den Austausch. Ich vermisse es, morgens aus dem Haus gehen zu müssen, nein: können/dürfen! und in einer anderen Umgebung als den eigenen vier Wänden nette Menschen zu treffen, in einer angenehmen Atmosphäre arbeiten zu können. Auch zu Hause habe ich es angenehm, kann hier auch gut arbeiten, aber so ganz allein… .
Ich koche jetzt täglich und stelle fest, dass das etwas Anderes ist als mal an den Wochenenden oder zwei Tagen in der Woche zu kochen. Ich vermisse meine Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Umgebung, mein leckeres Essen und das Glas Wein bei meinem Stamm-Italiener. Wie es Corrado, Michele und all den anderen wohl geht, mit ihrer Verwandtschaft in Norditalien? Andrà tutto bene – ein verzweifelter „Schlachtruf“ angesichts der Tausenden von Toten dort. Von meinen Freunden aus Spanien und Frankreich bekomme ich kurze Berichte über die Lage dort, ihr Befinden, besorgte Anfragen, wie es mir wohl geht, witzige Videos aus der Nachbarschaft - aus Ländern mit totaler Ausgangssperre und Notstandsgesetzen.
Überhaupt die Videos, die witzigen Sprüche, die man jetzt bis zum (Gottseidank vorübergehenden) Zusammenbruch des Handys bekommt – endlich lerne ich Whatsapp und Co wirklich schätzen! Man ist in Verbindung, kann sich sogar „face to face“ sehen, alles ohne Ansteckungsgefahr.
Ist das jetzt Alltag? Ein Alltag, den ich – in privilegierter Wohnlage am Wald und bei herrlichem Frühlingswetter, mit einem „Kulturjob“ ohne überhöhte Ansteckungsgefahr, ohne das Problem, kleine Kinder betreuen zu müssen – genießen könnte? Eine Art Urlaub oder eine „Einübung in die Rente“, wie eine Freundin es nannte?
Wohl nicht. Dazu ist mir das alles zu – unheimlich und ungewiss. Natürlich entwickelt man neue Routinen, freut sich aber auf deren Ende.
Nächstes Jahr um diese Zeit erlebe ich meine ersten Tage im Ruhestand. Ruhe? Stand? Alles steht still im Moment, aber das ist – abgesehen von der Ansteckungsgefahr - eben das Unheimliche, das Angstmachende. Und wenn ich eins lerne, ist es, dass ich meinen „Ruhestand“ noch besser vorbereiten will als ich es sowieso geplant habe. Die Coronakrise nehme ich in einer Hinsicht als Generalprobe: bloß nicht „still stehen“ bleiben.
Quellennachweis
Bonner General-Anzeiger, Samstag 14.3.2020