LVR-Institut für Landeskunde
und Regionalgeschichte
Logo LVR

Wie riecht Weihnachten?

Tannenduft, Zimtaroma und die Punschwolke am U-Bahnausgang

Der intensive Geruch nach Harz und Tannennadeln, wenn sich der Freundinnenkreis trifft, um Adventskränze zu stecken. Das Vanillearoma frisch gebackener Plätzchen, der am 1. Advent aus der Küche strömt. Die Weihnachtsgans, die letztes Jahr ein wenig zu lange im Ofen schmorte. Als man es roch, war es bereits zu spät, doch nach dem ersten Schrecken hatten alle ihren Spaß beim improvisierten Ersatzmenü.

Auf einen Teller sind unterschiedliche Gewürze, Weihnachtsdekoration und eine Tüte mit der Aufschrift „Lebkuchengewürz“ angeordnet. Foto: Gabriele Dafft/LVR-ILR Der Duft verschiedener Gewürze weckt Assoziationen an Weihnachten.

Manche Gerüche sind untrennbar mit der Weihnachtszeit verbunden, kaum dringen sie in die Nase, rufen sie Bilder, Erinnerungen und Emotionen ab. Solche Duftgeschichten können sehr individuell sein. Doch es gibt auch eine spezifisch weihnachtliche Geruchswelt, die sich tief ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben hat, weil sie eng mit Traditionen und Ritualen verknüpft ist, die von vielen Menschen in der Weihnachtszeit geliebt und gestaltet werden. Tannenduft und Punschwolke sind sozusagen olfaktorische Erinnerungsorte. Anhand von Gerüchen können wir uns mitunter sogar auch in Raum und Zeit orientieren. Selbst wenn wir gerade nicht genau wissen, wann der Weihnachtsmarkt eröffnet hat, sobald uns beim Verlassen der U-Bahnstation die Melange von Reibekuchen, Glühwein und gebrannten Mandeln entgegenweht, besteht kein Zweifel: Es ist wieder soweit! Man riecht den Markt, noch bevor die Rolltreppe oben angekommen ist. Der Blick muss gar nicht erst auf den Budenzauber fallen.

Beleuchtete Schneemann-Dekoration und Lichterkette auf dem hölzernen Dach einer Weihnachtsmarktbude. Auf einem Schild steht „Eierpunsch“. Manchmal kann man den Weihnachtsmarkt schon riechen, ehe man ihn sieht Die unterschiedlichsten Düfte überlagern sich hier. Foto: Gabriele Dafft/LVR-ILR Nächtliche Ansicht des Bonner Weihnachtsmarktes. Lichterketten beleuchten eine Glühweinbude, Fahrgeschäfte und einen großen Weihnachtsbaum. Ein nostalgisches Riesenrad ziert die Leuchtreklame: „Bonner Riesenrad“. Geballte Sinneseindrücke auf dem Weihnachtsmarkt: Lichteffekt, Musik, Stimmengewirr und alle möglichen Gerüche. Foto: Gabriele Dafft/LVR-ILR

Von Anis bis Zimt – Gerüche und Gewürze der Weihnachtszeit

Natürlich duftet Weihnachten weder überall auf der Welt gleich, noch verbindet jeder identische Geruchserlebnisse mit dem Fest. Es gibt regionale Einflüsse und eben auch individuelle Erinnerungen an die Weihnachtszeit. Was wir im Laufe unseres Lebens erschnuppern, abspeichern und so beim nächsten Mal gut einordnen können, ist eben auch kulturell und sozial vermittelt.

Die Weihnachtszeit ist auch durch bestimme Gewürze geprägt, die ihre entsprechenden Düfte verbreiten: Anis, Kardamom, Nelke, Piment und mehr. Ohne Zimt und Vanille wäre ein Weihnachtsplätzchen vielleicht nicht viel mehr als ein simpler Keks. Wie ist es dazu gekommen, dass bestimmte Aromen geradezu obligatorisch für die Weihnachtsbäckerei wurden? Warum sind sie so beliebt, dass sie sogar in Form von Duftteelichtern al là „Lebkuchenduft“ oder in aromatisierten Nikolaustees für weihnachtliches Ambiente sorgen? Einerseits handelt es sich um Gewürze, die eher kräftig sind und als wärmend empfunden werden. Sie passen daher besonders gut in die kalte Jahreszeit. Dann dürfen die Speisen gerne etwas deftiger, schwerer sein. Während wir im Sommer leichte Speisen, Minz- und Zitrusnoten bevorzugen, die ein Gefühl von Frische und Kühle vermitteln.

Darüber hinaus kommen die weihnachtstypischen Gewürze - und mit ihnen die Düfte - von weit her und galten früher aufgrund des Transportaufwands als ebenso kostbar wie exotisch. Sie wurden teuer gehandelt und waren daher nur denen vorbehalten, die sie sich leisten konnten. Ihre Verwendung war eher auf besondere Feiertage beschränkt – zum Beispiel das Weihnachtsfest.

Die Verfügbarkeit diese Gewürze hat sich längst veralltäglicht. Zwischenzeitlich kamen künstliche Aromen als preiswerte Alternative auf den Markt, aber die „Originale“ selbst sind nun erschwinglich. Mit einem immer internationaleren Speiseangebot, hat sich unser Gewürzkonsum verändert. Die Verbreitung von indischen und persischen Restaurants oder Rezepten aus der arabischen und nordafrikanischen Küche bringt Gewürze auf den Teller, deren Verwendung in der deutschen Küche vormals auf die „Lebkuchengewürzmischung“ begrenzt waren. Transformationsprozesse wie Globalisierung, Migrationsbewegungen oder die Medialisierung der Kochkultur wirken sich darauf aus, was wir zubereiten, essen und eben auch riechen. Zimt zum Beispiel ist bei weitem nicht mehr so eindeutig auf weihnachtliches Gebäck und Desserts beschränkt wie früher. Durch das breiter gewordene Angebot von Franzbrötchen und schwedischen Zimtschnecken ist das Gewürz ganzjährig deutlich präsenter als noch vor einigen Jahren.

Schale mit weihnachtlicher Dekoration, darunter drei Orangen, die mit Gewürznelken gespickt sind. Der Duft von Orangen und Nelken kann Erinnerungen an die Weihnachtszeit hervorrufen. Foto: Gabriele Dafft/LVR-ILR

Erinnerungsanker und Emotionsspeicher

Weihnachtsdüfte lösen bei vielen Menschen ein wohliges Gefühl aus. Um das zu erklären, machen wir einen für die Kulturanthropologie eher ungewöhnlichen Ausflug ins menschliche Gehirn. Geruchswahrnehmungen werden dort im sogenannte limbischen System verarbeitet, wo sich die Areale befinden, die für Emotionen und für das sogenannte situative Gedächtnis zuständig sind. Salopp gesagt: All das liegt nah beieinander und ist auf kurzem Wege verknüpft. Die Folge: Wenn wir das erste Mal einen Duft riechen, wird nicht nur dieser Sinnesreiz im Gehirn verarbeitet, sondern gleichzeitig auch die Situation und gefühlsmäßige Disposition, in der wir uns befinden. Wird der Geruch erneut wahrgenommen, werden auch die damaligen Bilder und Emotionen abgerufen. Etwas poetischer ausgedrückt: Düfte sind wahre Erinnerungsanker und Emotionsspeicher. Und weil das alles so gut zusammenspielt, sind die Emotionen sogar schon da, bevor wir den Geruch bewusst wahrnehmen.

Schwarz-weiß Foto zeigt eine Familie am weihnachtlich dekorierten Tisch, neben dem ein Weihnachtsbaum steht. Die Kinder halten Geschenke in den Händen. Gerade Kinder erleben an Weihnachten intensive Gefühle der Zuneigung, Zuwendung und Spannung. Erinnerungen daran können später durch bestimmte Düfte ausgelöst werden. Foto: Archiv des Alltags/LVR-ILR, Sammlung Ferber

Weihnachten und der „Proust-Effekt“

Das intensive Zusammenspiel von Düften und Erinnerung wird übrigen auch als „Proust-Effekt“ bezeichnet wird. Benannt nach dem französische Autor Marcel Proust (1871-1922), der in seinem bekannten Werk „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ anschaulich beschrieben hat, wie Duft und Geschmack eines einzigen in Tee getunkten Madeleines das Tor zu einem Kosmos an sehr lebendigen Kindheitserinnerungen anstoßen.

Weihnachten ist eine hochemotionale Zeit und viele Menschen erlebten als Kind intensive Gefühle der Geborgenheit und Zuwendung, haben sich einer erwartungsvollen Spannung hingegeben, die sich bei der Bescherung in helle Freude über die Geschenke auflöste. Es gab eine sonst unübliche Fülle an kulinarischen Genüssen und über all dem schwebten weihnachtliche Geruchswelten. Da nimmt es nicht Wunder, dass eben diese Düfte später die positiven Gefühle wieder aufleben lassen.

Nicht nur Wohlgerüche

Interessant dabei ist, dass auch ein eher unangenehmer Duft angenehme Gefühle auslösen kann. Der Duft nach Orangen und Nelken erinnert mich zum Beispiel an eine Bastelarbeit aus der Kindheit, als die einzelnen Nelkensamen so in die Südfrüchte gesteckt wurden, dass es einfache Muster ergab. Das Ergebnis war Deko und adventlicher Duftspender zugleich. Obwohl ich Nelkenduft gar nicht so sehr mag und das Gewürz in Kreationen wie „Weihnachtstee“ eher fies als lecker finde, zaubert mir der Nelkenduft in Kombination mit Orangenaroma durchaus ein Lächeln ins Gesicht.

Ein außer-weihnachtliches Beispiel für die positiven Emotionen, die eher zweifelhafte Gerüche anstoßen können, mag die sogenannten “Landluft“ sein, speziell das Odeur des Misthaufens. Wer eine glückliche Kindheit auf dem Land oder Abenteuerferien auf einem Bauernhof verbracht hat, assoziiert diese positiven Erlebnisse und Gefühle möglicherweise mit dem speziellen Geruch. Was uns bei einer anderen Gelegenheit vielleicht einmal zu der spannenden Frage führen wird: Wie riecht eigentlich „Heimat“? Vermitteln bestimmte Gerüche ein Gefühl von Zugehörigkeit und zu Hause?

Der Wechselwirkung von Sinneswahrnehmungen mit dem Phänomen „Heimat“ sind wir bereits in unterschiedlichen Projekten nachgegangen: Um das Schmecken geht es in „Heimat geht durch den Magen“, um den Hörsinn bei den „Sounds of Heimat“ sowie im aktuellen Projekt „Soundscapes. Wie das Rheinische Revier klingt“. Der Geruchssinn stand bei solchen Projekten bisher nicht im Fokus, aber das kann ja noch kommen ..!

Wie riecht Weihnachten für Sie? Wenn Sie uns davon erzählen möchten, schicken Sie uns gerne eine Mail: gabriele.dafft@lvr.de

Gabriele Dafft