Sie sind hier:
- Startseite
- Institut
- Karnevals Special 2023
- Motor für Innovationen
Motor für Innovationen
Der Karneval passt sich immer wieder gesellschaftlichen Bedürfnissen an
Der Karneval verändert sich immer wieder. Wie schnell er auf aktuelle Ereignisse reagiert, machen wir im Rahmen dieser Reihe „Karneval. Krise. Kreativität“ unter anderem am Beispiel der Corona-Krise, des Krieges in der Ukraine und der Kölner Rosenmontagsdemonstration von 2022 anschaulich. Diese Friedensdemo wird einige Jecken unmittelbar an das Jahr 1991 erinnert haben, als der Rosenmontagszug aufgrund des Golfkriegs abgesagt wurde. Damals fand sich eine Gruppe Menschen zusammen – teilweise kamen sie aus der alternativen Karnevalsszene – die den originalen Zugweg für eine spontane Demo nutzten. Die Geburtsstunde des Kölner Geisterzuges, der sich inzwischen längst als alternativer Bestandteil des Karnevalsgeschehens in der Domstadt etabliert hat.
Als Krise des Karnevals – in einem ganz anderen Sinne – lässt sich die Zeit in den 1980er Jahren deuten, als der Saalkarneval mit Sitzungen und Büttenreden auf einige Menschen zu konventionell und leicht angestaubt wirkte. Die Kölner Stunksitzung setzte ab 1984 einen Akzent dagegen, persiflierte den klassischen Sitzungskarneval und karikierte seine konservativen Akteur*innen. Längst hat auch sie sich als alternative Sitzung ihren Platz im Sessions-Kalender erobert.
Auch in der Corona-Session 2021 ließen sich Jecken pandemietaugliche Alternativen einfallen, um einen Hauch Karnevalsstimmung zu verbreiten: Auf Social Media gingen Fotos und Videoclips von Spielzeugumzügen in Playmobilgröße viral und das berühmte Hänneschen-Theater brachte einen Puppenumzug auf die Bühne, der im TV übertragen wurde. All die genannten Beispiele belegen: Wenn der Karneval von Krisen betroffen ist, zeigt er sich anschlussfähig für neue Ideen und Formen. Er kann auf gesellschaftliche Veränderungen eingehen und ist damit auch immer Spiegel der Gesellschaft. Er findet nicht in einem Vakuum statt, sondern reagiert auf das Zeitgeschehen. Aus dem Zusammenspiel von Karneval, Krise und Kreativität entstehen immer wieder neue Elemente, die den Brauchkomplex Karneval ergänzen und ihn modifizieren. Zum Teil erfüllen diese neuen Formen auch neue Funktionen, wie das Beispiel des Kölner Geisterzuges zeigt, der noch immer Charakterzüge der Protestkultur integriert.
Gebärden-Dolmetscherin bei der Prinzenproklamation. (Foto: Ludolf Dahmen/LVR)
Innovationen entstehen nicht nur aus Krisen heraus oder weil sich der Karneval von seiner gesellschaftskritischen Seite zeigt. Der Brauch ist auch in der Lage, auf veränderte gesellschaftliche Werte und Bedürfnisse zu reagieren. Er erstarrt nicht im Traditionellen, sondern bleibt lebendig. Mit seiner Initiative „Karneval für alle“ macht sich der LVR seit 2013 dafür stark, dass Menschen mit Behinderung barrierefrei mitfeiern können – auf Sitzungen, im Straßenkarneval und bei den Zügen. Neben Live-Beschreibungen für Blinde finanziert er Übersetzungen in Gebärdensprache und die rollstuhlgerechten LVR-Tribünen an den Zugwegen in Köln und Düsseldorf. Dabei kooperiert der LVR mit zahlreichen Karnevalsgesellschaften und Festausschüssen und -komitees im Rheinland.
Die Wandlungsfähigkeit des Karnevals ist das Geheimnis seines Erfolgs: So schafft er es, sich auf Basis langlebiger und geliebter Elemente immer wieder zeitgemäß zu präsentieren und mit veränderten gesellschaftlichen Bedürfnissen Schritt zu halten.
Zu den aktuellen Entwicklungen, die wir im ILR verfolgen, gehört derzeit auch die Diskussion um den Elften im Elften in Köln und wie die Stadt mit den Besuchermassen auf der Zülpicher Straße umgeht. Muss sich der Karneval zwischen Eventtourismus und lokalem Brauchkomplex neu verorten? Gespannt blicken wir auch auf die Zukunft des Kölner Dreigestirns. Gerade in dieser Session bekam die Frage neuen Drive: Ist die Zeit reif für ein weibliches Dreigestirn? Der Karneval wird auch darauf Antworten finden!
Autorin: Gabriele Dafft