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Als Corona uns kreativ werden ließ
Im Februar 2020 war Karneval einer der letzten Höhepunkte der vorpandemischen Eventgesellschaft. Kollektives Feiern, das emotionale und haptische Erfahren von Gemeinschaft war ohne Sorgen möglich, Schunkeln und Singen, dichtgedrängt in Kneipen, bei Sitzungen oder auf der Straße, der Fremde wird zum Freund, das Glas wird geteilt und die intensive, temporäre Gemeinschaft genossen, alles eben, so wie immer.
Und dann kam Corona und die karnevalistische Kappensitzung von Gangelt wurde zum Symbol für den Beginn der Pandemie in Deutschland, so symbolisch aufgeladen, dass das Haus der Geschichte in Bonn sich einen Bierkranz und Eintrittskarten der Sitzung sicherte. Gangelt wurde vielleicht auch deshalb so intensiv wahrgenommen, da der Kontrast zwischen den fröhlich feiernden kostümierten Menschen und der späteren Einsamkeit auf den Intensivstationen nicht größer hätte sein können. Kaum war der Nubbel verbrannt und der Hoopeditz begraben folgten Lockdowns und Kontaktbeschränkungen, erst im Kreis Heinsberg und bald auch bundesweit. Zwei Jahre stand die karnevalistische Uhr dann still, kein närrischer Zug bewegte sich durch die Straßen, keine Kamellen flogen, keine Bützje wurden verteilt, die rote Clownsnase blieb im Schrank und der Kamelle-Büggel leer. Die Corona-Zeit war eine Zeit des Innehaltens, in der Massenveranstaltungen ausfielen und all das, was vorher als kollektive Auszeit aus dem Alltag empfunden wurde, nun verpönt oder verboten war.
Karnevalswagen in Miniatur. (Katrin Bauer, LVR-Archiv des Alltags im Rheinland)
Solche Krisen sind Wendepunkte, die ganz individuell in unseren Alltag einbrechen und ein „weiter so“ unmöglich machen. Ausgelöst durch ein oft punktuelles Ereignis, gerät unser Leben aus den Fugen und wir müssen Strategien entwickeln, um uns neu zu ordnen, uns neu zu sortieren und zu überlegen, wie wir weitermachen. Gerade an Bräuchen und Ritualen, die sich auch durch eine ihnen immanente Tradition auszeichnen, denen also ein Moment des „so wie immer“ innewohnt, lässt sich zeigen, welche Strategien wir finden, um die Krise zu bewältigen und uns mit der neuen Situation zu arrangieren. Und gerade in solchen außergewöhnlichen Zeiten lässt sich ablesen, welche Bedeutung diese Bräuche für uns haben.
Karneval 2021 und 2022 also, die eingebübten Karnevals-Routinen sind obsolet, die Routinen greifen nicht. Jeder Einzelne und für sich, aber auch Vereine, Zusammenschlüsse, Organisationen, Bürogemeinschaften, alle die in nicht Krisen-Zeiten irgendwie mit Karneval – gewollt oder ungewollt – tangiert sind, müssen Entscheidungen treffen und überlegen, ob sie feiern wollen und wie. Was ist im Rahmen des Möglichen, gesetzlicher Vorgaben und Verordnungen überhaupt möglich? Gibt es Alternativen und wenn ja, wollen wir überhaupt anders feiern?
Das Suchen nach neuen Formen ist Teil einer Bewältigungsstrategie. Schon das Tun, das Aktivwerden, das nicht (mehr) abwarten müssen und somit dem Ausgeliefertsein etwas entgegensetzen zu können sind Strategien, um Krisen zu begegnen und mit ihnen fertig zu werden. Vor allem deswegen erfüllen die vielen in den Corona-Jahren alternativ stattgefundenen Ideen von einem anderen Karneval so eine wichtige Funktion.
Da gab es Sitzungen, die einfach ins Virtuelle verlagert wurden. Der Elferrat saß ohne Publikum mit Abstand auf der Bühne, das Klatschen kam aus der Retorte und irgendwie war alles wie immer und trotzdem vollkommen anders. Auch der Karnevalszug in Miniatur war eine Idee, die es in vielerlei Ausprägungen gab. In Köln zog ein Miniaturzug der originalen Wagen durch die Kulissen des Karnevalsmuseums, den das Festkomitee zusammen mit dem Hänneschen-Theater initiiert hatte. Der WDR übertrug den Zug quasi live. Begleitet wurden die Wagen, die vor allem auch aktuelle Themen der Pandemie aufgriffen von Fuß- und Tanzgruppen aus 155 Hänneschen-Stockpuppen. Eine andere Idee mancher Karnevalsvereine war die karnevalistische Ausgestaltung von Schaufenstern, die bunt geschmückt mit verkleideten Schaufensterpuppen, historischen Fotos oder Luftschlangen, ein Stück Karnevalsgefühl in die Städte bringen sollten.
Karneval zum Mitnehmen. (Katrin Bauer, LVR-Archiv des Alltags im Rheinland)
Während bei allen drei Formaten die Jecken vor allem zusehen konnten, gab es andere Ideen, die stärker auf Partizipation ausgerichtet waren. Großen Erfolg hatten die Miniatur-Karnevalszüge, die von verschiedensten Radiosendern oder Vereinen initiiert wurden. In Bonn beispielsweise rief der Festausschuss unter dem Motto: „Uns Pänz sin am Zoch – mach Deinen Rosenmontagszug!“ dazu auf, mit Spielzeugfiguren und –wagen einen eigenen Rosenmontagszug aufzubauen. Mit der Videokamera sollte der Zug dann von oben gefilmt werden. Zusammengesetzt ergaben diese vielen Filme der Karnevalisten ein Ganzes, einen gemeinsamen alternativen Karnevalszug und man selbst war mit seinem Zug Teil der Gemeinschaft. Nicht unmittelbar, nicht fühl- und spürbar, aber immerhin virtuell.
Mancherorts wurden die Jecken dazu aufgerufen, an den tollen Tagen ihre Fenster bunt und fröhlich zu gestalten – Symbolik nach außen und Handlung nach innen. Die durch den Lockdown nach Hause verbannten Kindergartenkinder bekamen mancherorts den „Karneval in De Täsch“ - eine bunte Tüte mit Luftschlangen und Ballons, Kamelle und einer Clown-Bastelidee.
Und 2023? Erstmals seit Corona war wieder eine normale Karnevalssaison möglich. Die Notwendigkeit eines „anderen Karnevals“ war nicht mehr da, selbst die Maskenpflicht war kurz vorher überwunden und das Gefühl, sich in einer pandemischen Krise zu befinden, war nicht mehr gegeben. So wundert es nicht, dass Karneval 2023 der Eindruck dominierte: „Alles so wie immer“.
Autorin: Katrin Bauer