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Nachruf Prof. Dr. Helmut Fischer (5.9.1934 - 23.7.2023)
Ein Erzählforscher und humorvoller Erzähler
Eine traurige Nachricht erreichte uns: Professor Helmut Fischer, der unserem LVR-Institut viele Jahre über unterschiedliche Projekte und Forschungen zur rheinischen Alltagskultur und Sprache verbunden war, ist am 23.07.2023 in seiner Heimatstadt Blankenberg verstorben. Helmut Fischers großes Interesse galt der Landes- und Heimatkunde, der Sprachforschung und vor allem der empirischen Erzählforschung, deren angesehener und anerkannter Vertreter er war. Seiner an der Sieg gelegenen Heimat widmet er dabei ein breites wissenschaftliches Oeuvre. Über das LVR-ILR veröffentlichte er unter dem Titel „Der Rattenhund. Sagen der Gegenwart. Beiträge zur rheinischen Volkskunde“ (1991) – eine Sammlung von Stadtsagen (urban legends), die er in jahrelanger Feldforschung zusammengetragen, analysiert und kommentiert hat. Auch seine Publikationen wie das „Wörterbuch der unteren Sieg“ und „Kinderreime im Ruhrgebiet“ entstanden im engen Austausch mit unserem LVR-Institut. Kolleg*innen, die mit ihm zusammenarbeiteten, schätzten seine Kompetenz und seinen klaren Standpunkt, mit dem er konsequent für eine authentische Erzähldokumentation eintrat. Helmut Fischer sah in den urban legends Chiffren, mit denen Menschen in einer hochtechnisierten, entemotionalisieren Welt die Unwegbarkeiten und Gefahren des Alltags verarbeiten können. In einer Zeit, in der die Erforschung der modernen Sagen im Fach Europäische Ethnologie/Volkskunde Hochkonjunktur hatte und durch Veröffentlichungen von Lutz Röhrich und Rolf Wilhelm Brednich populär wurden, prägte Fischer die moderne Erzählforschung im Bereich der „friend-of-a-friend-tales“ mit einem regionalen Forschungsschwerpunkt.
Helmut Fischer studierte ab 1957 in Bonn Germanistik und Geschichte. Von 1960 bis 1964 war er als Volksschullehrer in Blankenberg tätig und hatte von 1972 bis 1996 eine Professur für Germanistik und Literaturwissenschaft an der Gesamthochschule Essen inne. Fischer war in zahlreichen Vereinen und Funktionen ehrenamtlich aktiv. Seit Anfang der 1980er Jahre war er Mitglied in der Rheinischen Vereinigung für Volkskunde (RVV), seit Ende der 1980er Jahre stellvertretender Vorsitzender und seit 2005 Vorsitzender der RVV als Nachfolger von Prof. Heinrich L. Cox. Auch über diese Funktionen bestand stets ein freundschaftlich kollegialer Kontakt zu unserem LVR-Institut. In den „Bonner Beiträgen zur Alltagskulturforschung“ erschien 2001 „Erzählen – Schreiben – Deuten. Beiträge zur Erzählforschung“. Der Band enthält 20 verschiedene Aufsätze der Jahre 1973 bis 1998 und dokumentiert nicht nur den Facettenreichtum von Helmut Fischers Perspektiven, sondern verweist auch auf den Zusammenhang von kommunikativem und kulturellem Gedächtnis. In unserer Instituts-Zeitschrift „Alltag im Rheinland“ veröffentlichte er regelmäßig Beiträge, zuletzt erschien 2019 der Aufsatz „Teilhaber und Träger von Erzählüberlieferungen. Das Beispiel ‚alter‘ Erzähler und Erzählerinnen in Alltagsüberlieferungen. Über immanente Erzähler und Erzählerinnen“.
Das LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte wird Helmut Fischer vermissen – als renommierten Erzählforscher und humorvollen Erzähler! Unsere aufrichtige Anteilnahme gilt den Hinterbliebenen.