LVR-Institut für Landeskunde
und Regionalgeschichte
Logo LVR

Kulinarische Weihnacht

In der medialen Vermittlung als Weihnachtsessen Nr. 1 steht für Deutschland stereotyp der Gänsebraten mit Rotkohl und Kartoffelklößen.

Seit wann der weihnachtliche Verzehr dieses Gerichtes üblich ist, bleibt dabei im Dunkeln. Für Westfalen ist der Gänsebraten zum Fest zum Beispiel erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts belegt. Rotkohl dagegen taucht bereits in der Vormoderne als Gemüse auch in der Festtagsspeise auf. Nach Einführung der Kartoffel nach Mitteleuropa fand diese, in Form des Kloßes, über die bürgerliche Küche gegen Ende des 18. Jahrhunderts auch Eingang in die Festtagsküche einer breiteren Bevölkerung.

Bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das Weihnachtsessen lange nicht so festgelegt, wie es uns die heutige Vorstellung vom Traditionellen glaubhaft machen will. Vor allem konnten sich nur die finanziell besser gestellten Leute einen Gänsebraten leisten.

Die Verwendung und Zubereitung von Lebensmitteln zu bestimmten Jahreszeiten stand in der Vergangenheit oftmals in Zusammenhang mit religiösen Überzeugungen der Menschen. Weihnachten ist neben Ostern das wichtigste Fest im christlichen Jahreslauf. Um die Bedeutung dieses Festtages auch kulinarisch zu unterstreichen, heben sich die Speisen ab von dem, was alltäglich verzehrt wird.

Heiligabend galt – örtlich unterschiedlich – als Fast- oder Abstinenztag. Der Fastenbrauch ist in einigen Ländern als Kirchengebot erhalten; in Deutschland wird er von manchen freiwillig weitergepflegt, dann nimmt die Familie am Heiligabend nur eine kleine Mahlzeit zu sich.

Einen Einblick, was in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Rheinland gegessen wurde, gibt die 1982 durchgeführte Umfrage des damaligen Amtes für Rheinische Landeskunde „Nahrung und Speise im Wandel nach 1900“. 261 Antwortbögen mit zum Teil detaillierter Beschreibung der Nahrungsgewohnheiten wurden von den Befragten zurückgesandt.

Aus der Zeit zwischen 1910 und 1930 wissen wir aus Korschenbroich bei Mönchengladbach, dass an Heiligabend bis mittags gefastet wurde und es abends Kartoffelsalat mit Brat-, Blut- oder Leberwurst gab. In Düsseldorf galt das Fastengebot sogar bis Mitternacht. Von Rees am Niederrhein bis Stromberg an der Nahe gab es Heringssalat oder Kartoffelsalat mit Bratwurst und in Hückeswagen Grünkohl zu essen.

Goldrandteller mit Besteck auf dem eine Portion Kartoffelsalat sowie zwei Wiener Würstchen angerichtet sind. Ein Würstchen ist angeschnitten, das Stück Wurst steckt auf der Gabel. Kartoffelsalat und Wiener Würstchen. Archiv des Alltags im Rheinland 20111130-t001

Spätestens am 1. Weihnachtstag kam das Fleisch auf den Tisch. Klassisch und jahreszeitlich bedingt waren das Ente, Gans aber auch Hase und Kaninchen ob in Essig eingelegt, wie in Xanten, oder als Ragout mit Rotkohl und Apfelmus als Beilage, wie in Hückeswagen. Im Bergischen Land aß man Grünkohl mit Frischgeschlachtetem.

Die im Rheinland zur Kirmes oder an Sonntagen beliebte Rindfleischsuppe mit Einlage aus Markklößchen oder Eierstich gab es in Korschenbroich auch am Weihnachtstag als Vorspeise zu Kartoffeln, Gemüse, Schweine- oder Rindfleisch, Pudding (oftmals Grießmehlpudding mit Himbeersaft) und Kaffee mit Kuchen. Diese Menüfolge hätte es ohne Weiteres auch zu einer Hochzeit geben können.

Deutlich wird in den Umfrageergebnissen der jahreszeitliche Bezug der Zutaten, der Einfluss religiös bedingter Speisevorschriften sowie die Abgrenzung zur Alltagskost.

Laut einer Umfrage des Volkskundlichen Instituts der Universität Bonn aus dem Jahr 2005/2006 zum Essen an Weihnachten unterscheidet sich dessen Speisefolge und Zutaten nur in Details von dem zuvor beschriebenen der 1920er Jahre. Der Hauptunterschied besteht vielmehr darin, dass sich die Art der Mahlzeiten der drei Festtage zu Beginn des 21. Jahrhunderts kaum noch voneinander unterscheiden. Am Heiligabend gibt es zwar vermehrt Fisch, jedoch als Festessen zubereitet und nicht als Bezug auf die Fastenzeit. Viele Befragte kochen und verzehren ein Drei-Gänge-Menü, aus Vorspeise (Suppe, internationale kalte oder warme Vorspeise) dem Hauptgang Fleisch (zumeist Braten) mit Kartoffeln (in verschiedenster Form) und Gemüse oder Salat der Saison und einer Nachspeise (Eis, Cremes, Kaffee und Kuchen, Käse). Merkmal der Ernährung in der Weihnachtszeit gegenüber dem restlichen Jahr sind vor allem erhöhter Konsum von Alkohol, Fleisch und Zucker. Eine Mehrheit der Antworten für die Gans als Traditionsessen ergibt sich nicht.

Stoppelfeld vor Baumbestand über das sieben Gänse laufen. Gänseschar, Archiv des Alltags im Rheinland WS 0053-31

Die Loslösung der Weihnachtsgestaltung von religiösen Inhalten, stellt das Essen für große Teile der Bevölkerung als Gemeinschaft stiftend in den Festmittelpunkt. In Abgrenzung zur oftmaligen Alltagsverzehrsituation wird an Weihnachten Wert auf das selber Kochen und das gemeinsame Essen gelegt.

Es gibt regionale Speisetraditionen, die für die Menschen eine wichtige Bedeutung haben, aber durch neue Einflüsse stetig verändert werden. Gerade die Details zeigen den Wandel durch internationale Einflüsse auf die Regionalküche, wie man es in dem zuvor beschriebenen Drei-Gänge-Menü zum Beispiel in der Vor- und Nachspeise sehen kann. Nahrungsgewohnheiten sind eben nicht statisch zu sehen.

Treffen die Befunde zum Weihnachtsmenü in Bezug auf aktuelle Diskurse um fleischlose und vegane Ernährung auch noch auf die heutige Zeit zu? Was wird aktuell im Rheinland an den Weihnachtstagen verzehrt?

Schreiben Sie uns gern eine Mail, was bei Ihnen auf den Tisch kommt.

Kontakt: andrea.graf@lvr.de

Literatur

Döring, Alois: Rheinische Bräuche durch das Jahr, Köln 2006.

Heizmann, Berthold: Von Apfelkraut bis Zimtschnecke. Das Lexikon der rheinischen Küche, Köln 2011.

Heizmann, Berthold: Die rheinische Mahlzeit. Zum Wandel der Nahrungskultur im Spiegel lokaler Berichte, Köln 1994.

Hirschfelder, Gunther/Palm, Anna/Winterberg, Lars: Kulinarische Weihnacht? Aspekte einer Ernährung zwischen Stereotyp und sozialer Realität, In: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde, 53 (2008), S. 289-313.

Andrea Graf