Sie sind hier:
- Startseite
- Institut
- Adventskalender 2022
- 16 - Hausgeschichten
Hausgeschichten: Von einer Schiffschaukel und einer Moppenbäckerei
Die Hofanlage Kiven, die mit dem gesamten Dorf Steinstraß Ende in den 1980er Jahren dem Braunkohletagebau weichen musste, diente nicht nur der Landwirtschaft mit einer Lohndrescherei, wie die große Tordurchfahrt und eine große ältere Fachwerkscheune im Hof vermuten lässt. Bis zum Zweiten Weltkrieg übten einzelne Familienmitglieder das Schaustellereigewerbe aus.
Die Großmutter betrieb eine Schiffschaukel als Fahrgeschäft und zog damit in der warmen Jahreszeit von Dorffest zu Dorffest. Die Schiffschaukel, die sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreute, ist heute nur noch vereinzelt auf dörflichen Kirmesfesten zu finden.
Zum Schaustellereigewerbe des Hofes Kiven gehörte auch der Verkauf von süßen Backwaren. Neben Printen und Spekulatius wurden auf dem Hof in den reisefreien Wintermonaten Moppen – ein lebkuchenartiges Gebäck in einem eisernen Backofen gebacken. Dieser war in der Scheune der Hofanlage eingerichtet worden.
Aus früheren Zeiten: Schiffschaukel mit Orgel und Samtvorhängen Foto: ILR
Kirmesgebäck aus Lich-Steinstraß, Foto: ILR
Das LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte (ILR) besitzt eine umfangreiche Sammlung von Fotografien und Bauaufmaßen ländlicher Gebäude mit dazugehörigen Zeitzeugeninterviews. In den 1980er Jahren wurden von freien Mitarbeiter*innen auch Häuser und Höfe dokumentiert, die später dem Braunkohletagebau weichen mussten – wie hier der Doppelort Lich-Steinstraß.
Zur Zeit der Dokumentation lagerten Reste der Schiffschaukel, unter anderem das Kassiererhäuschen, die mechanische Orgel sowie dazugehörige große Samtvorhänge auf dem Dachboden des Wohnhauses und mit Glasspiegeln geschmückte Teile der Schiffschaukel waren noch in der Scheune zu finden. Dies waren die letzten Zeugnisse des Schaustellereigewerbes, das für Lich-Steinstraß als verbreiteter Erwerbszweig neben der Landwirtschaft überliefert ist. Dass dieses Gewerbe trotzdem nicht immer angesehen war, lassen die handschriftlichen Notizen der damals erstellten Dokumentation erkennen: Der in die Familie eingeheiratete Landwirt habe das Gewerbe seiner Schwiegereltern nicht akzeptieren können, heißt es dort.
Mit dieser Sammlung besitzt das ILR wichtige Quellen zur Geschichte des Rheinischen Reviers, die von einer vorrangig ländlich geprägten Region zu einer Industrielandschaft umgewandelt wurde.
Dr. des. Anja Schmid-Engbrodt