LVR-Institut für Landeskunde
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„Nur zesamme sin mer Fastelovend“ – Wie Sprache in Kölner Karnevalsmottos Krisen reflektiert

Nicht immer zeigen sich in den Karnevalsmottos selbst die Reaktionen auf gesellschaftliche Umbrüche und Krisensituationen, oftmals sind diese nur in den Mottowagen aufgearbeitet und verewigt. Aber in einigen Fällen waren Kölner Mottos auch direkte Reaktionen auf Umbrüche in unserer bzw. der Kölschen Gesellschaft. Anlässlich der 200-Jahrfeier des Kölner Karnevals haben wir uns drei ausgewählte Beispiele angeschaut, in denen das Motto des Rosenmontagsumzugs selbst eine Reaktion auf eine Krise war.

Karnevalsumzug in Köln mit vielen verkleideten Jecken. Ein blau-gelber Wagen mit zwei großen nachgestellten, weißen Pferden sowie Karnevalisten in blau-gelben Uniformen sind zu sehen. Jeckes Treiben beim Rosenmontagszug. (Foto: Geza Aschoff)

Eine der einschneidensten Krise, die Köln und Deutschland im letzten Jahrhundert erschütterte, waren der Zweite Weltkrieg und die Nachkriegszeit. Köln war stark zerbombt worden und erlebte neben der deutschlandweiten Mangelkrise auch noch in den Tagen um Silvester 1947/48 zusätzlich ein Hochwasserunglück. Und trotzdem, oder gerade deshalb, zeigten sich die Kölner*innen mutig, lebensfroh und versessen darauf, endlich wieder ausgelassen zu sein. Bereits wenige Monate nach Kriegsende gründeten sich Karnevalsvereine neu oder fanden sich wieder zusammen. 1948 kam es sogar zu einer inoffiziellen und improvisierten Kappenfahrt. Dieser brachte einen Stein ins Rollen und entfachte zusammen mit der 700-Jahrfeier der Grundsteinlegung des Kölner Doms ein Gefühl der kollektiven Identität angesichts einer positiv besetzten, gemeinsamen Geschichte. Und trotz der wirtschaftlichen Krise, in der sich Deutschland noch befand, zog 1949 der erste offizielle Rosenmontagsumzug (als „erweiterte Kappenfahrt“ angekündigt) mit 15 großen Wagen durch die Kölner Innenstadt, an 500.000 Besucher*innen, Trümmern und Ruinen vorbei.

Das Motto „Mer sin widder do un dunn wat mer künne!“ sollte nicht nur den Kölner*innen eine optimistische Zukunftsaussicht signalisieren und das Gemeinschaftsgefühl stärken, sondern auch für alle Welt sichtbar die Friedfertigkeit und den wiedererwachten Frohsinn der Deutschen demonstrieren.Wenn wir uns das Motto genau angucken, können wir sehen, wie diese Ziele im Motto auch sprachlich umgesetzt wurden. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren bis auf zwei Ausnahmen alle Mottos auf Standarddeutsch verfasst. Jetzt plötzlich haben wir eins auf Kölsch. Durch die sprachliche Identifikation der Kölner*innen wurde somit auch sozialer Zusammenhalt geschaffen. Dieser Zusammenhalt wird noch verstärkt durch das Pronomen mer am Satzanfang. Anstelle zu sagen „Kölle is widder do“ wird hier bewusst das „wir“ gewählt, das nicht nur die Leute direkt anspricht, sondern auch alle auf eine (sprachliche und gesellschaftliche) Stufe stellt.

Doch auch der Kölner Karneval selbst machte seine Krisen durch, wie z.B. Anfang der 60er Jahre. Schon seit einigen Jahren stand der Sitzungskarneval zunehmend in der Kritik seitens der Presse und auch der Öffentlichkeit, mit unpolitischen Vorträgen in der Bütt und allgemeinem Qualitätsverlust in den Witzen und dem Entertainment eine Niveauverflachung herbeigeführt zu haben. Die Presse selbst wurde auch schon im Zug 1957 abwertend thematisiert, aber die negative Berichterstattung hielt an, bis der Karneval 1962/63 schließlich sogar mit dem WDR-Fernsehen aneinandergeriet. Über zahlreiche Presseartikel wurde sich gegenseitig die Schuld zugeschoben, sodass der Umzug 1963 schon drohte, nicht mehr stattzufinden.

In einem Versuch, sich gegen diese überregionale Pressekampagne gegen den Kölner Karneval zu wehren und einen Schlussstrich unter die Streitigkeiten zu ziehen, stand 1963 der Rosenmontagsumzug unter dem Motto „Köln läßt grüßen kunterbunt Presse, Fernsehen und den Funk“ – anders als viele Mottos davor nicht im regionalen Kölsch verfasst, sondern im überall geläufigen und verständlichen Standarddeutsch. Die Botschaft richtete sich in erster Linie an Nicht-Kölner*innen, was damit auch erzielt wurde. Zudem bewirken die Versform und der (unreine) Reim bessere Einprägsamkeit. Allerdings kam die Botschaft nicht so an wie gedacht, denn die im Fernsehen übertragene Prinzenproklamation im folgenden Jahr erntete erneut bundesweite Kritik. Mit weiteren Fernsehauftritten war es für viele Jahre erstmal vorbei. Der Kölner Karneval musste sich verändern, wenn er in der Gesellschaft wieder Fuß fassen wollte.

Ausstellungsobjekt im Haus der Geschichte. Ein Lappenclown hält sich die Hände vor das Gesicht und hat eine Virus-Fessel um den Fuß. Unten steht geschrieben: nur zesamme kumme mer he erus. Ein Lappenclown in Corona-Zeiten. Installation zur Ausstellung "Heimat. Eine Suche" im Haus der Geschichte, Bonn. (Foto: Gabriele Dafft, LVR-ILR)

2020 brachte die Verbreitung des Corona-Virus die Welt zum Stillstand. Eine Krise, wie sie das 21. Jahrhundert noch nicht gesehen hatte. Läden machten dicht, Ausgangssperren wurden verhängt und Versammlungsverbote sorgten dafür, dass überall Veranstaltungen, Feste, Geburtstage und natürlich auch die Karnevalsumzüge abgesagt werden mussten. „Dann vielleicht im nächsten Jahr“ war anfangs noch die hoffnungsvolle Überlegung – viele Veranstalter*innen vertrösteten aufs kommende Jahr. Aber als 2021 klar wurde, dass jetzt noch immer keine Großveranstaltungen stattfinden könnten oder nachgeholt werden dürften, war der Unmut (neben der allgemeinen Frustration angesichts der Aussicht auf ein neues Jahr voller sozialer Entbehrungen) natürlich groß.

Das Kölner Festkomitee beschloss, dass – auch wenn er auch in diesem Jahr nicht mit Menschen stattfinden könnte – der Rosenmontagsumzug zumindest im Fernsehen gezeigt werden sollte – mit einer originalgetreuen Miniaturversion und dem Kölner Hänneschen-Puppentheaters. Das alles unter dem Motto „Nur zesamme sin mer Fastelovend“ – ein Satz, der allen Jeck*innen zeigen sollte, dass sie nicht allein sind. Der Satzaufbau des Mottos unterstreicht diese Botschaft: nur zesamme „nur zusammen“ ist an den Anfang gestellt, wird zum zentralen Thema des Satzes gemacht (topikalisiert) und betont die Wichtigkeit des Zusammenhalts durch das kleine Wörtchen „nur“. Nur dann, wenn wir zusammenhalten … sind wir Karneval. Welchen Stellenwert der Zusammenhalt hat, zeigt sich auch darin, dass der Anfang des Mottos sich in den verschiedenen Mottowagen wiederholt, z.B. nur zesamme kumme mer he erus „nur zusammen kommen wir hier raus“ oder nur zesamme sind mer nit nur sauber sondern rein.

Nicht zuletzt die Tatsache, dass alle diese Mottos, sowohl die der Mottowagen als auch die des gesamten Umzugs, auf Kölsch verfasst sind, erschafft ein Gemeinschaftsgefühl, nicht nur unter den Kölner*innen, sondern unter allen, die sich dem Kölner Karneval verbunden fühlen. Die Botschaft ist klar: Wir alle, die Karneval feiern, sind der Karneval. Ohne uns würde es den Karneval gar nicht geben, denn dieses Event, diese lange Geschichte, existiert nur solange weiter, wie wir zusammenkommen und zusammenhalten.

Nur gemeinsam sind wir Fastelovend!

Autorin: Eleonore Laubenstein

Literatur:

Michael Euler Schmidt, Marcus Leifeld. 2009. Der Kölner Rosenmontagsumzug. 1949-2009. Hg. v. Festkomitee Kölner Karneval von 1823 e.V. Köln: J.P. Bachem Verlag.

Stadt Köln. 2021. „Rosenmontagsumzug 2021 mit dem Hänneschen-Theater“. https://www.stadt-koeln.de/artikel/70846/index.html