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Die vorösterlichen Hirtenbriefe des Kölner Erzbischofs Karl Joseph Schulte 1934

Foto Erzbischof Karl Joseph Schulte Erzbischof Karl Joseph Schulte, © Dombauarchiv Köln, Matz und Schenk

Für viele Katholiken läutet der Aschermittwoch nicht nur das Ende der närrischen Zeit ein, sondern auch die Fastenzeit. Die 40 Tage andauernde österliche Bußzeit, die Vorbereitung auf das heilige Osterfest, bedeutet Besinnung und meist Verzicht auf Alltägliches und Liebgewonnenes. Häufig geht es darum, innezuhalten, das eigene (Konsum-)Verhalten zu reflektieren – die gegenwärtige Lage zu prüfen. Schon seit dem 18. Jahrhundert richten sich die Bischöfe zu Beginn dieser Zeit mit einem Impuls an die Gläubigen. Es ist nicht überraschend, dass den sogenannten „Fastenhirtenbriefen“ daher immer etwas Weltliches, manchmal gar etwas Politisches, anhaftet. Sobald Kirche politisch oder gesellschaftlich in Bedrängnis geriet, nutzten und nutzen Hirten diesen vorösterlichen Impuls, um auf Zeitfragen zu reagieren.

Ein eindrückliches Beispiel sind die erzbischöflichen Hirtenbriefe und Mahnungen während der Fastenzeit des Jahres 1934. Erstmals reagierte der Kölner Oberhirte Karl Joseph Schulte offen auf die neuen politischen Herausforderungen. Ein Jahr nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten hatte der zwischen dem Heiligen Stuhl, den deutschen Bischöfen und der NS-Regierung gefundene Burgfrieden tiefe Risse erhalten. Die katholische Kirche sah sich in ihren zentralsten Lehrsätzen mit dem totalitären Anspruch der neuen Machthaber konfrontiert. Der spätere Kölner Oberbürgermeister Peter Winkelnkemper hatte die nationalsozialistische Haltung zu Beginn des Jahres im „Westdeutschen Beobachter“ (15.1.1934) charakterisiert: „Weltanschauungen kennen keine Kompromisse, im Krieg der Weltanschauung gibt es nur Sieg oder Vernichtung.“ Wenige Zeit später verfasste Schulte seinen Fastenhirtenbrief, der – noch wenig kämpferisch – eine Stärkung des Glaubenslebens forderte und anhand des 1558 verstorbenen englischen Kardinals Reginald Pole vor einer erneuten Glaubensspaltung warnte.

Anzeichen und Gefahren sah Schulte zuhauf. Neben dem Beginn der Zwangssterilisationen – eine Mitwirkung hatte Schulte am 8. Januar 1934 öffentlich untersagt - und der grundsätzlichen Einengung des Glaubenslebens, gerate insbesondere die Ausbildung der Jugend in Gefahr. Am 7. Februar 1934, wenige Tage vor der Verlesung seines Hirtenbriefes, reiste Schulte nach Berlin, um Adolf Hitler mit einer Zusammenstellung von Beschwerden und Problemen zu konfrontieren. Besondere Kritik erfuhr die Ernennung des völkischen Kirchengegners Alfred Rosenberg zum Chefideologen der NSDAP, die „wie eine Ohrfeige ins Gesicht des Heiligen Vaters gewirkt“ habe. Schnell zeichnete sich ab, dass dem Treffen keine wirklichen Konsequenzen folgen würden. Da die erzbischöfliche Eingabe nicht fruchtete, richtete sich der sonst so vorsichtige Schulte nun mit einem offensiveren Hirtenbrief an die Öffentlichkeit. Am 1. März warnte er vor der „Verführung zum Heidentum“ und dem „Abfall von Christus“. Eltern und Lehrpersonal bat er um Hilfe, damit das „Gift des Unglaubens“ die Jugend nicht weiter verderbe. Kategorien wie „Blut“ und „Rasse“ seien im Glauben nicht maßgeblich – auch eine Vereidigung verpflichte nicht zur Änderung der eigenen religiösen Haltung.

Der Hirtenbrief schlug ein und ließ die bei vielen den (trügerischen) Eindruck entstehen, dass sich die Kirche in Gestalt des Kardinals nun zur Wehr setze. Nicht ohne Hoffnung titelte ausgerechnet die sozialdemokratische „Deutsche Freiheit“ im noch nicht angeschlossenen Saarbrücken „Kardinal Schulte beginnt den Kampf“. Die Gestapo reagierte nervös auf die Verlesung der Mahnung am 11. März 1934. Die Sicherheitsbehörden schritten jedoch nicht. Hermann Göring befürchtete, dass ein staatliches Vorgehen, „gegnerisch eingestellten klerikalen Zentrumskreisen Vorschub leisten könnte“. Der Fastenhirtenbrief war Teil einer ganzen Reihe von Aktionen und Protesten, die mit dem Zusammentreffen zwischen Schulte und Hitler begann und bei der Einrichtung einer eigenen Stelle zur Observation antikirchlicher Propaganda im Kölner Generalvikariat endete.

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