LVR-Institut für Landeskunde
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Mit ner Pappnas jeboore

Die runde rote Nase ist nicht nur das Erkennungszeichen der Spaßmacher und Clowns, sondern vor allem das Symbol der Jecken im Rheinland. Hier ist die "Pappnase" mehr als ein simples Verkleidungsaccessoire, sondern repräsentiert ein Stück jecke Mentalität und rheinische Identität. Wer sie aufsetzt, ist bereit sich und sein Umfeld nicht so ganz ernst zu nehmen, signalisiert Distanz zu sich selbst und zu anderen.

Porträt einer als Clown geschminkten und verkleideten Frau mit roter Schaumstoff-Nase vor dem Rheinpanorama mit Blick auf Kölner Dom und Hohenzollern Brücke. Kostümdetail und Karnevalssymbol: Die rote Nase. Foto: Franz Gerd Frank, CC BY-SA 4.0

Die Pappnase ist Maskerade im Miniformat – wer mit ihr auftaucht, gilt als verkleidet, selbst wenn er oder sie dazu lediglich gewöhnliche Alltagskleidung trägt. Das Accessoire hilft sowohl Verkleidungsmuffeln und Puristen, die statt Komplettkostüm lieber auf gezielte Akzente setzen. Für Lappenclowns und Co. bedeutet die Nase dagegen das Tüpfelchen auf dem I und verleiht deren aufwändiger Kostümierung den letzten Schliff. Gesichtet werden gelegentlich sogar "cross-over"-Varianten wie etwa der Cowboy mit der Pappnase. Ob es sich dabei um eine gezielte Inszenierung handelt oder eher um eine Last minute-Kombination beim Griff in die Reste der Kostümkiste, kann hier nicht geklärt werden. Tatsache bleibt: Gerade in Köln setzt man so ziemlich allem die Pappnase auf: Dem Totenschädel auf der Piratenflagge zum Beispiel. Das tun Kasalla in ihrem Musikvideo "Pirate" und singen auch gleich die passenden Zeilen dazu: "Un der Dudenkopp op unsrer Fahn hät en rude Pappnaas aan". Unter der Pappnase gelingt es also sogar, die ausgelassene Lebensfreude des Karnevals mit einem kleinem Memento mori zu vereinen.

Noch doller wird es, wenn sich sogar König Fußball die Pappnase aufsetzt. Im Jahr 2015 betraten die Bundesliga-Profis des 1. FC Köln zum Training am Weiberfastnacht mit dem roten Accessoire den Rasen – gewertet wurden an diesem Tag übrigens nur Handtore. Die Jecken machen auf diese Weise unmissverständlich klar: Karneval stellt die sonst üblichen Werte und Ordnungen auf den Kopf und so ganz ernst nehmen wir nichts, nicht mal uns selbst. In der roten Knubbelnase verdichtet sich diese Lebenseinstellung und Weltsicht symbolisch in einem einzigen kleinen Objekt. Diese Mentalität versuchen die Höhner in ihrem Hit "Viva Colonia" musikalisch auf den Punkt zu bringen, gleich in der ersten Strophe heißt es:

"Met ner Pappnas jeboore, dr Dom en der Täsch,Hammer uns jeschwoore: Mir jonn unsre WäächAlles wat mer krieje künne, nemme mir och met,Weil et jede Aureblick nur einmol jitt."

Vorläufer und Verwandte der Pappnase

Farbige Zeichnung mit drei Figuren aus der Commedia dell’Arte, darunter die Figur des Arlecchino in seinem Rautenkostüm. Die italienische Commedia dell’ Arte beeinflusste den rheinischen Karneval Zeichnungen von Lodovico Ottavio Burnacini (1636-1707). Abbildung: Theatermuseum © KHM-Museumsverband.

Aus Pappe ist die Nase heutzutage allerdings eher selten anzutreffen. Wurde sie früher aus Leder oder Pappmaché gefertigt, so ist sie längst ein industriell konfektioniertes Massenprodukt aus Kunst- oder Schaumstoff. Welcher Jeck aber zum ersten Mal auf die Idee kam, den roten Ball auf seinen Zinken zu klemmen, lässt sich nicht genau sagen. Aber immerhin können wir ein paar Entwicklungsschritte nachzeichnen. Auf der Suche nach historischen Spuren lassen sich Vorstufen, Vorbilder und Verwandte der Pappnase ausmachen. Zunächst reisen wir ein paar Jahrhunderte in der Zeit zurück und Richtung Süden über die Alpen. Dort entwickelt sich ab dem 16. Jahrhundert die Commedia dell’Arte, das italienische Improvisationstheater, das mit seinen Figuren auch jenseits der Alpen populär wurde. Durch einen Kulturtransfer hat es nicht nur das europäische Bühnengeschehen beeinflusst, sondern eben auch den Karneval im Rheinland. Die Kostüme und Masken gaben beispielsweise im 18. Jahrhundert den Gästen auf Kostümbällen bei Hof Anregung, was sich wiederum das Bürgertum und das einfache Volk zum Vorbild nahm.

Porzellanfigur eines Harlekins mit buntem Rautenkostüm Figuren aus der Commedia dell‘ Arte wurde jenseits der Alpen populär: Der Arlecchino als Porzellanfigur aus der Porzellan-Manufaktur Meissen (um 1740). Foto: Andreas Praefcke via Wikimedia Commons.

Die Figur des Arlecchino (dt. Harlekin) soll der Vorfahre des heutigen Lappenclowns sein. Das Rautenkostüm des einen entwickelte sich zum bunten Flickenkostüm des anderen. Die Stofflappen aus Resten und Lumpen sind eine günstige Ressource, um sich närrisch einzukleiden. Wer allerdings einmal an einem Lappenkostüm genäht hat, weiß wieviel Zeit es kostet, Fetzen um Fetzen eng aneinander zu nähen.

Als Lappenclown verkleidete Frauen in einem Karnevalszug Der Lappenclown mit seinem typischen Kostüm aus Stoffstücken, ca. 1950er Jahre. Foto: Sammlung Peters, Archiv des Alltags im Rheinland, LVR-ILR

Aber zurück zu Pappnase. Zwar trägt der Lappenclown heute oft den roten Knubbel, verorten lässt sich die Nase aber ursprünglich bei einer anderen Figur der Commedia dell’Arte, nämlich dem Pagliaccio. Wenngleich dieser freilich noch nicht das runde rote Teil auf seiner Nase sitzen hatte, das wir heute kennen. Die Figur des Pagliaccio repräsentiert einen etwas tollpatschigen Knecht, der von der Arbeit im Freiem und dem Alkoholgenuss eine gerötete Nase bekam. Diese persiflierende Darstellung von Angehörigen der Landbevölkerung oder Handwerksgesellen begegnet in den darstellenden und bildenden Künsten immer wieder. Gerötete Wangen und Nasen kennt man auch - in einem etwas anderen Kontext - in der niederländischen und flämischen Genremalerei. Hier charakterisieren sie ihre Träger oftmals als genusssüchtig und einem unmoralischen Lebenswandel nicht abgeneigt. Diese Darstellungen entwarfen ein mahnendes Gegenbild zum wohlgefälligen protestantischen Weltbild.

Der Ausschnitt des Gemäldes zeigt die wohlbeleibte Figur des Karnval auf einem Fass reitend und mit üppigen Speisen um sich. Ausgelassene, teilweise rotnasige Narren folgen ihr. Rotnasige Figuren im Gefolge des Karnevals. Pieter Bruegel der Ältere „Kampf des Karnevals gegen die Fasten“ von 1559 (Ausschnitt)

In Pieter Bruegels berühmten Gemälde "Kampf zwischen Karneval und Fasten" von 1559 , sind die Begleiter des personifizierten feisten Karnevals ebenfalls mit geröteten Nasen und Wangen ausgestattet. (Über dieses Gemälde wird mein Kollege Thomas Leßmann am Aschermittwoch schreiben).

Auf der Bühne und sogar auf der Puppenbühne hat die rote Nase ebenfalls Einzug gehalten. Für unseren Zusammenhang besonders interessant ist Winters Stockpuppentheater, besser bekannt als das Kölner Hänneschen Theater. Hier lässt sich kurz nach 1800 die rote Knollennase sehr prägnant entdecken und zwar bei der Figur des Kölner Tünnes, der durch diese Nase und andere Attribute als Landmensch erkennbar ist. Im Karneval taucht die rote Knubbelnase aber erst später auf, zumindest sind Abbildung vor 1900 nicht bekannt.

Die rote Nase der Zirkusclowns

Stockpuppe aus Holz mit blauem Hemd, rotem Halstuch und prägnanter Knollennase. Der Kölner Tünnes und seine Knollennase. Stockpuppe des Hänneschen Theater Foto: © 1971markus@wikipedia.de

Auch beim Zirkusclown hat sich die rote Nase als Erkennungszeichen etabliert; die Figuren Clown oder Dummer August sowie der elegantere Pierrot sind übrigens ebenfalls von der Commedia dell`Arte inspiriert. Der Zirkus entwickelt sich aus den sogenannten Kunstreitergesellschaften des 18. Jahrhunderts. Hier traten waghalsige Artisten zu Pferde auf, die ihr Können in einer kreisrunden Arena präsentieren, bevor im Laufe der Zeit andere Show-Nummern das Programm ergänzten. Zunächst waren es komödiantische Auftritte von Darstellern, die sich betont ungeschickt beim Versuch anstellten, die Kunstreiter nachzuahmen. Zur Unterhaltung des Publikums und um des theatralischen Effektes wegen, gaben sich die Komödianten dabei betrunken und setzten wohl auch die rotgeschminkte Nase ein, um diesen Eindruck zu verstärken. Von der geschminkten Nase bis zum roten Knubbel, der auf der Nase klemmt und dann bis in die letzte Manegenreihe erkennbar ist, ist der Schritt dann nicht mehr weit. Im Karneval mag die Pappnase als Kostümaccessoire unterschiedliche Einflüsse vereinen und hat sich irgendwann als Symbol verselbstständigt, das für sich genommen das närrische Dasein repräsentiert.

Du Pappnas!

Porträt eines mit einem dunklen Anorak und Kapuze bekleideten Manns, der eine rote Schaumstoff-Nase aufgesetzt hat, in der Hand hält er eine Filmkamera. Unter dieser Schaustoffnase steckt keine Pappnas! Sondern unser Kameramann, der sich beim Dreh eines Karnevalszugs in Keyenberg (neu) stilecht ausstaffiert hat. Foto: Anja Schmid-Engbrodt, Archiv des Alltags im Rheinland, LVR-ILR

Manchmal macht die Pappnase auch Ausflüge in anderen Gefilde. Zum Beispiel in die Protestkultur, wenn Demonstranten eine schwarze Nase aufsetzen, um ihren Unmut auszudrücken oder wenn die rote Nase als Graffiti auf Wahlplakaten erscheint. Auf dem Konterfei von Politiker*innen stellt die rote Nase dann die Sinnhaftigkeit des politischen Handelns und seiner Vertreter*innen in Frage. Zwar ist "Du Pappnase!" in der Alltagssprache ein eher mildes Schimpf- oder Spottwort und kann durchaus auch scherzhaft verwendet werden, aber inwieweit sich der oder die so Angesprochenen tatsächlich verunglimpft fühlen, hängt natürlich vom Kontext ab. Im Karneval jedenfalls kann durchaus schon mal "ne eschte Pappnas" unter der Pappnase stecken.

Gabriele Dafft