LVR-Institut für Landeskunde
und Regionalgeschichte
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Korrekte Kostüme?

Was hinter der Kritik an der Kostümwahl steckt

Eigentlich wäre ich um diese Zeit mit meiner Mädelsrunde auf den Kölner Straßen unterwegs zum „Kostüme gucken“, bevor wir uns dann in den Kneipenkarneval stürzen. Dazwischen liegt natürlich das obligatorische Anstehen in eine Schlange mit zahlreichen anderen Jecken, die vor Bar, Gaststätte oder Brauhaus darauf warten, eingelassen zu werden. Aber selbst diese Warterei ist schließlich eine prima Gelegenheit zum Schauen: Welches Kostüm ist besonders originell, was hat man so noch nicht gesehen? Worüber lässt es sich trefflich lästern und was muss man sich als Anregung für die nächste Session unbedingt merken?

Eine Frau mit schwarz geschminktem Gesicht, Perücke und „afrikanisch“ anmutender Kleidung. Bananen im Haar und schwarze Schminke im Gesicht. Stereotype Verkleidungen wie diese werden zunehmend kritisch hinterfragt. Möhnezug an Weiberfastnacht, Blankenheim 2003. Foto: Peter Weber, LVR-ILR.

Dieses Beobachten und kommentieren ist vor allem Weiberfastnacht ein kleines Ritual in unserer Runde, aber leider fällt auch das in dieser Session aus. Der alljährliche Blick auf die Kostümvielfalt beruht auf persönlichem und jeckem Interesse. Er beschäftigt mich aber auch beruflich als Kulturanthropologin im ILR. Karneval als regionaler Brauch ist ein saisonales Kernthema und identitätsstiftend für das Rheinland. Daher erreichen uns alljährlich Anfragen, was hinter bestimmten närrischen Ritualen steckt oder eben auch, ob wir Infos zu aktuellen Kostümtrends haben. Seit zirka drei Jahren kommt dabei auch immer wieder die Frage auf „Welche Kostüme gehen denn gar nicht?“ oder „Gibt es Geschmacksgrenzen?“. Nun wollen wir als Forschende die Maskerade der Jecken weder reglementieren noch als „Kostümpolizei“ auftreten, sondern neutral beobachten, einordnen und erklären, warum sich beim Thema Kostüme manchmal die Gemüter erhitzen. Im Ausnahmezustand Karneval geht natürlich vieles in puncto Verkleidung – vorausgesetzt es ist nicht illegal, wie zum Beispiel Kostüme mit verbotenen Zeichen oder das Tragen echter oder zu echt aussehender Waffen. Über Geschmäcker lässt sich natürlich immer trefflich streiten und über Grenzen bei der Kostümwahl mag sich jeder Jeck selbst eine Meinung bilden. Aber über einige Verkleidungen häuften sich in den letzten Jahren die Diskussionen und kochten zeitweise recht hoch. Etwa als es um ein vermeintliches Verbot von Indianerkostümen an einer Kita ging. Spätestens ab diesem Zeitpunkt konnte wir im ILR einen verstärkten gesellschaftlichen Diskurs um die Frage nach „politisch korrekten Kostümen“ feststellen. Was steckt dahinter?

Was steckt hinter der Diskussion um politisch korrekte Kostüme?

: Gruppe schwarz geschminkter und schwarz gekleideter Personen posiert vor der Kamera. Sie tragen Baströcke, schwarze Perücken und teilweise Masken, Speer und Schild. Einer trägt eine Messerzwischen den Zähnen. Neben der Gruppe steht ein Mann im Ledermantel mit Narrenkappe. Kollektives Blackfacing mit Baströcken, Keule, Nasenring, Knochenschmuck, und schwarzer Schminke. Foto: Archiv des Alltags im Rheinland, LVR-ILR.

Karneval ist eine Auszeit vom Alltag, in der andere Normen und Verhaltensweisen gelten als sonst. Kostüme erleichtern den Jecken den Einstieg in diesen Ausnahmezustand und das Spiel mit Geschmacksgrenzen bei der Kostümwahl gehört zum Karneval dazu. Diskutiert werden immer wieder sogenannte Länderkostüme, die zum Beispiel Trachten oder kulturelle Symbole imitieren, die mit einer Region, Nation oder Ethnie assoziiert werden. Diese Kostüme fokussieren sich auf vermeintlich Exotisches und leben von Klischees. Genau das sorgt für einen schnellen Wiedererkennungseffekt, aber eben auch für Kontroversen. Vor allem, wenn sich weiße Menschen als Schwarze verkleiden, noch dazu mit Tierfell oder Bastrock, mit Nasenring und Knochenkette, muss man sich darüber im Klaren sein, dass solche Darstellungsmuster rassistische Denkweisen aus der Kolonialzeit reproduzieren. Indigene Völker wurden darin als unzivilisiert und bedrohlich charakterisiert.

Kolonialmächte setzten diese Klischees bewusst ein, um die Unterdrückung der Menschen und ethnischen Gruppen in den besetzen Ländern zu legitimieren. Wenn Karnevalsverkleidungen solche Darstellungsmuster reproduzieren, schwingen auch die rassistischen Bedeutungsgehalte mit – das kann durchaus unbeabsichtigt und unbewusst geschehen. Dass die Debatte über solche Kostüme schnell hochkocht, hat mehrere Gründe: Oft werden Hinweise auf den rassistischen Gehalt bestimmter Kostüme vorschnell als Vorwurf an die Kostümträgerin und den Kostümträger missverstanden, sie seien Rassisten. Das aber provoziert erst recht Widerstände und eine Abwehrhaltung, die eine sachliche Auseinandersetzung über historische Kontexte bestimmter Verkleidungen erschwert.

Eine Gruppe als verkleidete Männer stellt sich für den Zug auf. Die Teilnehmer tragen dunkle Lockenperücke, Knochenkette, Baströckchen und dunkle Pullover und Strumpfhosen Als Blackfacing wird eine problematische Praxis bezeichnet, in der sich weiße als schwarze Menschen verkleiden. Aufstellung zum Rosenmontagszug in Mayen, 1970er Jahre. Foto: Peter Weber/LVR-ILR

Darüber hinaus wird mancher Appell zum sensiblen Umgang mit bestimmten Kostümen als Kostümverbot wahrgenommen und in der Folge als übertriebene Einmischung in einen traditionellen Brauch. Reglementierungen aber passen nicht gut zu einem Fest, zu dessen Kern es gehört, die herrschende Ordnung auf den Kopf zu stellen. Dass hier Vorstellungen kollidieren, liegt auf der Hand. Mit Blick auf das breite Spektrum der Kostüme im rheinischen Karneval können wir im ILR feststellen, dass Kostümvarianten, die schwarze Menschen als „Wilde“ zeigen, nur selten im Kneipen- und Straßenkarneval gesichtet werden – hier scheinen Sensibilität und Bewusstsein für die spezifische Problematik solcher Darstellungen durchaus zugenommen zu haben. Fotos aus dem Archiv des ILR zeigen, dass dies noch in den 1950er bis 1970er Jahren anders war.

Eine Gruppe ist klischeehaft als schwarze Wilde mit Bastrock und schwarzer Schminke verkleidet, sie posiert vor einem Traktor mit Anhänger. Am Steuer sitzt ein Mann in weißer Uniform im Kolonialstil mit Tropenhut. Historisches Beispiel eines Gruppenkostüms aus unserem Fotoarchiv. Heute treffen Karnevalist*innen eher andere Kostümentscheidungen. Foto: Archiv des Alltags im Rheinland, LVR-ILR.

Die stereotypen Darstellungsmuster greifen übrigens nicht nur bei den sogenannten Länderkostümen, die meisten Verkleidungen funktionieren so. Der „Hippie“ trägt Karneval eine Schlaghose mit quietschbunten Blumenmuster, ein Peacezeichen als Kette und ein Stirnband zur Langhaarperücke. Gerade in dieser Vereinfachung liegt auch der Reiz des Karnevals: Einmal den durchstrukturierten, rationalen Alltag zu durchbrechen, kann befreiende Wirkung haben. Gerade in Zeiten umfassender globaler Entwicklungen und gesellschaftlicher Umbrüche zeigt sich im lustvollen Spiel mit Klischees auch die Sehnsucht nach einer vereinfachten Sicht auf die Welt.

Mit den kontroversen Diskussionen um Kostüme hält Karneval der Gesellschaft den Spiegel vor: Derzeit handelt eine Gesellschaft in Deutschland aus, wie sie sich als Einwanderungsland oder als plurale Gesellschaft versteht. Die Diskussion um Karnevalskostüme kann dann zur Folie für die Frage werden, wie man mit Minderheiten umgeht und sich gegenüber Fremden und dem Fremdem verhält. Unterschiedliche Positionen sickern dann auch durch die Oberfläche von Kamelle, Frohsinn und Kostümen. Ausführlichere Informationen finden Sie hier

Gabriele Dafft