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Rätsel zur jüdischen Geschichte lösen! Ein Beispiel aus Bedburg
Eine wichtige Aufgabe für mich als Judaistin im LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte ist die Beratung. Immer wieder bitten mich interne und externe Kolleg*innen aus Denkmalpflege, Bodendenkmalpflege, Archiven und Geschichtsvereinen um Unterstützung. Oft geht es darum, hebräische Texte in ehemaligen Synagogen, auf Grabsteinen und Schriftstücken zu übersetzen und diese Texte einzuordnen.Diese Beratung macht viel Spaß (und viel Arbeit). Es ist sehr befriedigend, wenn offene Fragen aufgeklärt werden können. Das gelingt am besten, wenn Menschen, denen die Bewahrung des jüdischen Kulturerbes wichtig ist, sich mit ihren unterschiedlichen Kenntnissen zusammen tun.
Ein Beispiel aus Bedburg will ich Ihnen heute vorstellen. Hier waren außer mir Bastian Möller (seit Januar 2022 Archivar der Stadt Bedburg) und Heinz Obergünner (Vorsitzender des Vereins für Geschichte und Heimatkunde Bedburg e.V.) beteiligt.
In Bedburg stand ein Umzug des Stadtarchivs in neue Räumlichkeiten an. Was viele nicht wissen, brachte Archivar Möller in einem Interview auf den Punkt: „Wegschmeißen ist eine meiner Hauptaufgaben.“ Schriftstücke und Objekte müssen sorgfältig bewertet werden, um festzustellen, ob sie archivwürdig sind. Denn alles kann man unmöglich aufbewahren.
Beim Packen der letzten Artefakte stieß Herr Möller unter anderem auf eine bronzene Tafel mit hebräischen Buchstaben. Noch ohne zu wissen, woher sie stammte oder wohin sie eigentlich gehörte, packte er sie als „archivwürdiges Objekt“ für den Umzug nach Kaster ein. Wenig später lud der Archivar den Vorstand des Bedburger Geschichtsvereins zur Besichtigung des neuen Archivs ein. Dort entdeckte Heinz Obergünner die Tafel in einem Regal und machte ein Foto davon. Herr Obergünner ist ein Kenner der jüdischen Geschichte Bedburgs, bietet Führungen über den dortigen jüdischen Friedhof an und ist regelmäßig Gast bei unseren Veranstaltungen im LVR-KULTURHAUS Landsynagoge Rödingen.
Foto der Metalltafel, die Herr Obergünner im Archiv entdeckte. (Foto: Heinz Obergünner)
Am 22. April 2022 erhielt ich von Herrn Obergünner eine Mail mit dem Foto der Bronzetafel: „Liebe Frau Grübel, bestünde die Möglichkeit, den hebräischen Text zu übersetzen? Wir wären Ihnen sehr dankbar.“ Die Entzifferung des Textes – man liest Hebräisch von rechts nach links – war an und für sich kein Problem, obwohl mir direkt etwas auffiel: Das erste Wort der Inschrift besteht aus sieben Buchstaben, die alle die gleichen Abstände haben sollten. Doch hier ist schon nach den ersten vier Buchstaben eine große Lücke zu erkennen – vielleicht ein Versehen des Handwerkers, der des Hebräischen nicht mächtig war? Das letzte Wort wiederum besteht nur aus einem Buchstaben – das ist eine Abkürzung für das so genannte Tetragrammaton, den Gottesnamen, der im deutschen zumeist als „Ewiger“ übersetzt wird.
Der Text ist ein Vers aus der Bibel – er gehört zu den letzten Worten des sterbenden Jakob: Genesis 49,18: „Auf Deine Hilfe hoffe ich, Ewiger“.
Aha! Aber woher stammte die Bronzeplatte? Um das zu klären, fragte ich mich zunächst, in welchen Kontexten dieses Bibelzitat verwendet wird. Recherchen ergaben, dass es häufig als Inschrift auf Synagogenwänden und Grabsteinen zu finden ist. Das teilte ich Herrn Obergünner mit einigen Beispielen am 4. Mai 2022 per Mail mit.
Nun kennt Herr Obergünner den jüdischen Friedhof in Bedburg in- und auswendig. Wie er mir später berichtete, fiel ihm nachts im Bett ein, dass auf dem Grabstein für Hermann Franken im oberen Teil eine Platte fehlt. So war es auch schon in dem Buch von Gerd Friedt „Grabsteine erinnern. Judenfriedhöfe in Bedburg/Erft“ aus dem Jahr 1998 vermerkt, in dem Herr Obergünner nach dem Aufstehen noch einmal nachschaute.
Grab von Hermann Franken mit Leerstelle, Frühjahr 2022. (Foto: Stadt Bedburg)
Herr Obergünner begab sich nun auf den Friedhof, nahm die Maße der Leerstelle und rief im Archiv an, mit der Bitte, ihm die Maße „seiner“ Bronzeplatte mitzuteilen. Resultat: Leerstelle und Platte passten zusammen. Das Rätsel war gelöst!
Die Geschichte fand noch einen schönen und würdigen Abschluss. Im Juli 2022 kamen Nachfahren der Familie Franken aus Israel nach Bedburg und besuchten auch den Friedhof mit dem vervollständigten Grabstein. Die Älteste der Familiengruppe war Hannah Monin (geb. 1927 als Hilde Edith Franken in Düsseldorf). Sie hatte ihre Großmutter Frieda, die Witwe von Hermann Franken (geb. 1851 – gest. 1916) oft in Bedburg besucht. Familie Franken musste das Haus in der NS-Zeit verkaufen. Von 1941 bis November 2020 war es dann das Rathaus der Stadt Bedburg.
Wenn Sie Genaueres über die Familie Franken, ihr Haus und das jüdische Bedburg erfahren wollen, schauen Sie sich den Dokumentarfilm „Nicht vergessen! über jüdisches Leben in Bedburg“ von Matthias Sandmann an.
Aus dem Haus Franken haben wir im LVR-KULTURHAUS Landsynagoge Rödingen übrigens ein Exponat als Dauerleihgabe. Es ist die Mesusa, die die Frankens beim Laubhüttenfest in ihre Laubhütte hängten. Aber das ist eine andere Geschichte!
Dies ist nur ein Beispiel für meine Beratungstätigkeit. Oft kann ich kleine Mosaiksteinchen liefern, um Rätsel der rheinisch-jüdischen Geschichte zu lösen. Aber wie Sie gelesen haben, klappt das nur, wenn verschiedene Beteiligten ihr spezifisches Wissen einbringen.
Interessiert Sie ein weiterer Fall? Dann lesen Sie diesen Artikel:
Hans-Gerd Dick; Monika Grübel und Regina Vogel: Blockbergung mit jüdischen Gebetbüchern aus Zülpich. In: Archäologie im Rheinland 2021, Oppenheim 2022, S. 213f.
Monika Grübel