LVR-Institut für Landeskunde
und Regionalgeschichte
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„Musst du dir mal angucken, da wird mit der Hand ausgesät!“ – Wissenstransfer in musealen Vorführbetrieben

Es ist ein sonniger Tag am 9. Juni 2023 im LVR-Freilichtmuseum Lindlar. Ich sitze gegenüber einer Medienstation im Museumsgebäude „Speicher“ auf dem Ausstellungsgelände im Bergischen Land. Im Backhaus nebenan sitzt normalerweise der vorführende Bäcker Herr Klug. Er ist seit den 1990er Jahren Teil der Museumsteams. In der Backstube bereitet er eigentlich den Teig für Sauerteigbrote zu, welche die Besucher*innen, frisch aus dem Steinofen herausgenommen, kaufen können. Neben den Backwaren erhalten die Besucher*innen Informationen über das historische Backhandwerk.

Ein Mann mit Schütze ist durch ein Fenster dabei zu sehen, wie er Teiglinge abwiegt. Der Bäcker Herr Klug steht im Backhaus und bereitet den Sauerteig vor. (Foto: LVR-Freilichtmuseum Lindlar)

Es gibt allerdings ein Manko: Herr Klug ist nur an drei Tagen pro Woche im Museum anzutreffen. Auch andere Vorführende, etwa die Landwirt*innen und Maschinenführer*innen, sind häufig nur an einzelnen Tagen vor Ort und damit für Fragen der Besucher*innen verfügbar. Die Vorführenden verfügen über komplexes geschichtliches Wissen über die Feld- und Erntearbeit, aber auch über das historische Backen im authentischen Steinofen. Sie bringen den historisch-nachempfundenen Arbeitsalltag für die Besucher*innen zum Leben. Jedoch fehlt es bisher an ausreichenden Möglichkeiten, das immaterielle Wissen der Vorführenden nachhaltig zu vermitteln.

Diese Bedarfe nach neuen Strategien zur Verbesserung des Wissenstransfers sind vergleichbar mit den Zuständen in anderen musealen Vorführbetrieben, etwa im LVR-Freilichtmuseum Kommern oder dem LVR-Industriemuseum Tuchfabrik in Euskirchen. Gemeinsam mit dem LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte haben sich die Museen zusammengeschlossen, um kollektiv Lösungen zu finden. Im Oktober 2020 entstand aus der Problematik um die Wissensweitergabe heraus das Projekt „Wissenstransfer in musealen Vorführbetrieben – Handwerkliche und industrielle Arbeitstechniken“. Ziele des Projekts waren unter anderem die audiovisuelle Dokumentation, nachhaltige Bewahrung und zukunftsorientierte Vermittlung von immateriellem Kulturerbe mit digitalen Strategien. So entstanden aufwendige Filmaufnahmen über das Korbmacherhandwerk im LVR-Freilichtmuseum Kommern, die auf zwei Medienstationen für Besucher*innen nutzbar sind sowie detaillierte und anschauliche digitale Manuale über die Bedienung von zwei Maschinen im LVR-Industriemuseum Tuchfabrik Müller, mit deren Hilfe neu anzulernende Maschinenführer*innen Handgriff für Handgriff ihr Wissen erweitern können.

Zwei junge Menschen stehen an einer Medienstation im Museum, berühren einen Touch Screen und haben Kopfhörer am Ohr. Zwei Museumsbesucher*innen an der Medienstation zum Korbmacherhandwerk im LVR-Freilichtmuseum Kommern. (Foto: LVR-Freilichtmuseum Kommern)

Des Weiteren erarbeitete die Projektgruppe für das LVR-Freilichtmuseum Lindlar eine audiovisuelle Strategie, um den Verarbeitungsprozess vom Getreidekorn bis zum fertigen Brot zu dokumentieren und museumspädagogisch aufgearbeitete Inhalte zu vermitteln. Daraus entstanden einzelne Filmclips, die den Landwirt*innen, den Pferdeführer*innen und dem Bäcker bei der Arbeit auf dem Feld und im Backhaus über die Schulter schauen. Die Museumsbesucher*innen erhalten nun über die im Speicher aufgestellte Medienstation detaillierte Einblicke in den abwechslungsreichen Arbeitsalltag sowie spannende Informationen über die Historie des Backhandwerks und die traditionelle Arbeit auf den Feldern.

Ich sitze noch immer im Speicher des LVR-Freilichtmuseum Lindlar. Ich will herausfinden, ob und wie die Besucher*innen die Medienstation nutzen herausfinden, welchen Mehrwert sie für den Wissenstransfer haben. Ich beobachte, wie viele Besucher*innen durch das Museumsgebäude laufen und vor der Medienstation stehen bleiben. Viele Familien mit Kindern und Senior*innen bleiben vor dem Bildschirm stehen und lauschen gespannt den Filmclips. Besonders die historisch-nachempfundene Arbeit mit dem Pflug, der von Pferden gezogen wird, lässt die Besucher*innen innehalten. Einige Besucher*innen tauschen sich aus, reden über die Wirkung des Films. Einige ältere Museumsbesucher*innen fühlen sich von den dargestellten historischen Arbeitsweisen in ihre eigene Vergangenheit zurückversetzt. Eine Großmutter berichtet ihren Enkeln, wie sie die händische Erntearbeit erlebte: „Ich kenne das noch von früher, wie das mit der Hand gedroschen wurde. […] Das war immer so anstrengend, vor allem in der Hitze.“

Zwei Kinder mit orangenen Westen sitzen auf einer Holzbank und betrachten einen großen Touch Screen. Zwei Kinder an der Medienstation im LVR-Freilichtmuseum Kommern. (Foto: LVR-ILR)

Begeisterte Stimmen ebenso wie einige Verbesserungswünsche der Besucher*innen sammle ich noch am selben Tag. Über einen Zeitraum von acht Wochen spreche ich mit vielen Nutzer*innen der Medienstation in den Museen. Viele empfinden die Medienstationen als informativ, unkompliziert, hilfreich und unterhaltsam.

Diagramm mit der Überschrift „Mit welchen Wörtern würde Sie die Medienstation beschreiben“? In den Antworten erscheinen unter anderem die Begriffe „hilfreich“ und „langweilig“. Diagramm: Auswertung der Befragung von Besucher*innen. (Grafik: LVR-ILR)

Die gesammelten Daten und Ergebnisse aus meiner Forschungsarbeit werden in einer Broschüre festgehalten und so das Projekt Ende 2023 abschließen. Die viele Energie, welche die Projektteilnehmer*innen in die Entwicklung und Durchführung der digitalen Strategien hineinsteckten, bringt so einen Mehrwert für die deutschlandweite Museumslandschaft.

Antje Buchholz