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Wilhelmine Bachhausen – Die Geschichte eines Opfers der NS-„Euthanasie“ aus der Rheinprovinz

Eine große, rechteckige Fläche mit reihenweise frisch aufgeschütteten Gräbern, in denen nummerierte Latten stecken Blick auf den Friedhof der Tötungsanstalt Hadamar, 15. April 1945. (National Archives and Records Administration, College Park)

Im Bundesarchiv liegen 30.000 Krankenakten von Opfern der NS-„Euthanasie“. Die unter anderem aus diesen Unterlagen rekonstruierbaren Einzelschicksale möchte ein entstehendes digitales Gedenkbuch sichtbar machen.

Eine Archivreise der Abteilung Geschichte nach Berlin im Juni war für mich der Startschuss für die Recherchen für das geplante digitale Gedenkbuch für die Todesopfer der NS-Medizinverbrechen aus der ehemaligen Rheinprovinz.

Im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde liegen die Krankenakten von etwa 30 000 der über 70 000 Opfer der sogenannten Aktion T4, der systematischsten Phase der nationalsozialistischen Ermordung von Menschen mit Behinderungen oder psychischen Krankheiten. Die restlichen Akten wurden kurz vor Kriegsende vernichtet. Gleich die erste der erhalten gebliebenen Akten, die ich mir im Juni ansah, war reichhaltig und erzählte eine bewegende Geschichte.

Wilhelmine Bachhausen, geb. Höveler, wurde am 10. August 1884 in Langenfeld geboren. 1908 heiratete sie. Wie sie selbst war ihr Mann Fabrikarbeiter, später war er als Maurer tätig. Das Paar hatte drei Töchter. Sechs Monate nach der Geburt der zweiten Tochter im Jahr 1911 stellten sich bei Wilhelmine epileptische Anfälle ein. Ihr Mann pflegte Wilhelmine zu Hause, doch 1916 wurde er zum Militärdienst eingezogen. Deshalb kam Wilhelmine am 6. November 1916 in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Galkhausen bei Langenfeld. Im August 1920 wurde sie in die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Süchteln-Johannistal verlegt. Kognitiv, so die Aufnahmeformulare beider Anstalten, war Wilhelmine völlig unauffällig.

Bald begann sie aufzubegehren. Bei Spaziergängen bat sie Menschen, denen sie begegnete, „ihr doch etwas zu geben, da zu schlecht für sie hier gesorgt wurde und sich niemand um sie kümmere“. Als ihr deshalb der Ausgang verboten werden sollte, floh sie mit einer befreundeten Patientin vom Anstaltsgelände, wurde jedoch wieder aufgegriffen. In den folgenden Jahren erhielt Wilhelmine immer wieder Ausgangssperre.

Wilhelmine setzte sich auch für andere Kranke ein. Sie trat „mit Vorliebe als Fürbitter für andere Kr[anke] auf“ und betonte, „sie könne nicht leiden, wenn andere ungerecht behandelt würden“.

Von ihrem Mann fühlte Wilhelmine sich im Stich gelassen. Zu seinem Unvermögen, sich um seine Frau zu kümmern, trug womöglich bei, dass Wilhelmines Mann mit Alkoholproblemen und einem Trauma aus dem Krieg zurückgekehrt war. Als Wilhelmine im September 1926 auf eigene Bitte hin zurück in die Heil- und Pflegeanstalt Galkhausen verlegt wurde, besuchte ihr Mann sie dort einmal im Monat.

Während Wilhelmine bei der Aufnahme in Galkhausen noch als ruhig, geordnet und geistig fit beschrieben worden war, wurde die Einschätzung des Personals bald abwertender. Es hieß, dass sie stets „allerhand Klagen & Beschwerden“ habe und – paradoxerweise – dass sie teilnahmslos sei.

Am 2. Mai 1941 wurde die unliebsam gewordene Patientin von Galkhausen in die Gasmordanstalt Hadamar deportiert.

Ich war beeindruckt davon, wie Wilhelmine Bachhausen 25 Jahre lang versuchte, sich Handlungsmacht zu bewahren und den Anstalten schlechte Verhältnisse nicht durchgehen zu lassen. Ihre Geschichte festigte mein Bestreben, den Todesopfern der NS-Medizinverbrechen mit dem digitalen Gedenkbuch zu Anerkennung zu verhelfen.

Luisa Hulsrøj