LVR-Institut für Landeskunde
und Regionalgeschichte
Logo LVR

Von Christstollen und anderem Weihnachtsgebäck

Zur Weihnachtszeit gehören bestimmte Gerüche: Zimt, Vanille, gemahlene Nüsse und Mandeln, Nelken, Kardamom und Muskat. Diese Aufzählung klingt schon fast nach einer Einkaufsliste für die Weihnachtsbäckerei, denn gerade die typischen Weihnachtsgebäcke sind durch diese besonderen Aromen geprägt. Spekulatius, Lebkuchen, Pfeffernüsse, Zimtsterne – und natürlich der Christstollen, um den es im heutigen Adventskalenderbeitrag im Besonderen gehen soll.

Man kann in Bäckereien und Konditoreien oder auch im Supermarkt Christstollen kaufen, viele Menschen im Rheinland (und anderswo) bestellen zur Adventszeit einen „echten Dresdner Christstollen“ in der sächsischen Landeshauptstadt.

Der oder die (über das grammatikalische Geschlecht streiten die Experten) „echte“ Dresdner Stolle(n) muss im Großraum Dresden nach traditionellem Rezept hergestellt werden, so die Regel für das seit 2010 mit der Kategorie „geschützte geographische Angabe“ der EU ausgezeichnete Gebäck. Natürlich gibt es auch anderswo Stollen, sowie viele verschiedene Varianten, ob mit Rosinen, Marzipan, Mohn oder Nüssen. Gemeinsam ist ihnen eine Verbindung zur Weihnachtszeit und ihr Charakter als Gebildbrot.

Mit diesem Begriff benennt man Gebäck, das zu einem Brauchanlass in bestimmten Formen gebacken wird: Weckmann, Neujahrsbrezel, Osterlamm, das sind typische Gebildbrote, die man auf den ersten Blick erkennt. Aber was zeigt der Christstollen? Seine Form sieht aus wie ein einfacher länglicher, etwas flacher Brotlaib. Aber der Christstollen symbolisiert das frisch in Windeln gewickelte Christkind. Nun mag man einwenden, Moment, das ist aber eine sehr vereinfachte Form eines Kindes. Dazu muss man wissen, dass es im Mittelalter und der Frühen Neuzeit üblich war, Säuglinge zu „fatschen“.

Andachtsbild mit Krippenszene mit einem eng eingewickelten, gefatschten, Christkind. Auf diesem kleinen Andachtsbild (vermutlich um 1900) ist eine Krippenszene mit einem eng eingewickelten (gefatschten) Christkind zu sehen.

Fatschen ist eine Wickeltechnik, bei der das Kind vom Kopf bis zu den Füßen fest eingewickelt wird und tatsächlich eine ähnliche Form hat wie ein Brot. Diese Verbindung entstand durch die Herstellungstechnik des Stollens: Der Teig des Christstollens ist sehr schwer und dicht. Um die Rosinen, Mandeln, Marzipan und die viele Butter gut zu verteilen, wurde der Teig in dünne Streifen ausgerollt, gefüllt und dann zusammengefaltet: Wie ein Kind mit einer langen Stoffbahn eingewickelt wurde, wurde auch der Stollenteig „gefatscht“. Die dicke weiße Schicht aus flüssiger Butter und Puderzucker, die nach dem Backen auf den Stollen aufgetragen wird, tut ihr übriges, denn dieses sieht am Ende ganz ähnlich aus wie Leinen.

Im Video zeigt unsere Institutsleiterin Dr. Dagmar Hänel mit Stephan Eickschen aus Bonn, wie ein Christstollen gebacken wird. Das erste Mal und nach einem Rezept vom WDR-5-Koch Helmut Gote. Alternativ können Sie das Video auch über Youtube aufrufen.

In Sachsen und Thüringen gehörte das Stollenbacken für viele Familien bis weit ins 20. Jahrhundert ganz selbstverständlich in den späten November. Fast immer gibt es individuelle Besonderheiten und Varianten, das Stollenrezept ist oft ein über Generationen tradiertes Rezept. In einem Interview mit einer älteren Dame, die in Dresden ihre Kindheit verbrachte, erzählt diese, dass in ihrer Nachbarschaft die Frauen den fertig geformten Teig zum Bäcker des Viertels brachten. Hier wurden die Stollen dann gebacken und von den Familien wieder abgeholt. Damit es keine Verwechselungen gab, wurden die Stollen vor dem Backen mit eigenen Stollenschildern markiert.

Drei bis vier Wochen soll der fertige Stollen ruhen und ziehen, damit er seinen unverwechselbaren Geschmack bekommt.

Wenn heute Christstollen, Lebkuchen und Zimtsterne zum Adventskaffee auf den Tisch kommen, erinnert sich kaum noch jemand daran, dass die Adventszeit lange eine Fastenzeit war: Das Adventsfasten begann am Tag nach St. Martin und endete am 25. Dezember. Da freute man sich besonders auf die vorbereiteten Weihnachtsbackwerke…

Dagmar Hänel

Literatur

Berthold Heizmann: Von Apfelkraut bis Zimtschnecke. Das Lexikon der rheinischen Küche. Köln, 2011.