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Zwarte Piet matters
Alljährlich Mitte November, wenn der Einzug des Sinterklaas in die Niederlande bevorsteht – der Nikolausbrauch mit Bescherung am Abend des 5. Dezember, dem Pakjesavond, ist für viele Niederländer*innen der Hauptbeschertermin vor dem Weihnachtsfest – entspinnt sich eine emotional geführte Pro-und-Contra-Diskussion in den Medien. Deren Gegenstand ist die Deutungsmacht über den Zwarte Piet, die Begleitfigur des Sinterklaas, an deren schwarzem Antlitz gesellschaftliche Aushandlungsprozesse um Tradition und Wandel sichtbar werden.
Der Sinterklaas, der in den Niederlanden im Ornat eines Bischofs gekleidet ist und eine ehrwürdige Ausstrahlung hat, wird begleitet von den Zwarte Pieten, die ständig in Bewegung sind, um Späße und Unsinn mit den Kindern zu machen. Die klassische Figur eines Piet lässt sich folgendermaßen skizzieren: Das Gesicht ist schwarz geschminkt mit roten Lippen, auf dem Kopf trägt er eine schwarze Afro-Perücke sowie Mütze mit Feder und goldene Kreolen als Ohrringe, das Kostüm besteht aus schwarz-bunt längsgestreiften Knie- oder Pluderhosen und einem Oberteil mit Puffärmeln. Das Kostüm ist an die Spanische Mode um 1600 angelehnt (Graf 2010; 2016).
Die Entwicklung der Brauchgestalt des Zwarte Piet lässt sich in Text- und Bildmaterialien erst seit dem 19. Jahrhundert nachverfolgen. Aus diesem Grunde nimmt die Kunsthistorikerin Eugenie Boer-Dirks an, dass die Figur ihren Ursprung in der bildenden Kunst hat. Diese Annahme begründet Boer-Dirks mit der Darstellung des schwarzen Pagen, die in keiner Weise an die Wildheit des strafenden Nikolaus oder seiner Begleiter aus dem älteren, nicht reglementierten Umzugsbrauch angelehnt scheint (Boer-Dirks 1993). Der Ethnologe John Helsloot dagegen vertritt die Meinung, dass in die Entstehung der Figur des Zwarte Piet die alten Begleitfiguren des Nikolaus mit eingeflossen sind und die neue Rollenverteilung zwischen Sinterklaas und Zwarte Piet den Paradigmenwechsel des Nikolausbrauches durch die bürgerliche Gesellschaft darstellt (Helsloot 2005/2006). Im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand, wie Ton Dekker belegt, innerhalb der niederländischen Festkultur allgemein eine Verbürgerlichung statt, die als Zivilisierungsoffensive interpretiert werden kann und in deren Kontext neue häusliche sowie öffentliche Feste eingeführt wurden und sich ältere Bräuche, wie die um den Nikolaustag, veränderten (Dekker 1991).
Die erste Abbildung des Zwarte Piet wie er heute als Nikolausbegleiter bekannt ist, sieht Eugenie Boer-Dirks in einem Vorgängerwerk des Buches „Sint Nicolaas en zijn Knecht“ von Jan Schenkmann aus dem Jahre 1832. Dessen Abbildungen erinnern an die Darstellungsweise der Malerei seit dem 16. Jahrhundert wobei farbenfroh gekleidete „Mohren“ den Reichtum und Status des Abgebildeten unterstrichen, Exotismus präsentierten oder aus dekorativen Aspekten zur Schau gestellt wurden (Boer-Dirks 1993, S. 11). Neben den dienenden Funktionen des Piet wie dem Halten des Pferdes kommen in den Nachfolgewerken des Buches weitere Funktionen hinzu: das Hören, Beobachten und Weitergeben von Informationen an den Sinterklaas, der Piet wird zum Gehilfen. Auch die unangenehmen Aufgaben, wie das Bestrafen der Kinder mit der Rute und das Tragen des Sacks, in den laut der damaligen Pädagogik die unartigen Kinder zur Strafe gesteckt werden sollten, wurden auf die Figur des Piet übertragen. Das Bild des Zwarte Piet und des Sinterklaas, sowohl was ihr Aussehen als auch ihre Aufgaben angeht, wird durch die Darstellung bei Schenkmann ab 1850 langfristig geprägt und verbreitet (Braun-Balzer 2007). Über die folgenden Jahrzehnte verfestigten sich die Vorstellungen eines „typisch“ niederländischen Sinterklaasfestes: „In gewisser Weise war der Wandel des Nikolausfestes Teil eines viel umfassenderen Prozesses, der zur Urbanisierung, Verbürgerlichung, Vereinheitlichung und Nationalisierung der niederländischen Alltagskultur führte“ (Helsloot 2004, S. 164).
In der Zeit des Zweiten Weltkriegs verändert sich die Sicht auf den Zwarte Piet: Er wird zur Karikatur eines Knechtes und Clowns, der nur gebrochen Niederländisch spricht (Helsloot 2005, S. 253f). Die strafende Funktion der Nikolausbegleiter nimmt seit Mitte des 20. Jahrhunderts immer weiter ab. Heute treten die Pieten als Freunde der Kinder auf und verteilen die Geschenke, das Attribut der Dummheit hat die Figur inzwischen größtenteils abgelegt. Der Zwarte Piet steht mit seinem lustigen, agilen Verhalten im Kontrast zum würdigen Sinterklaas. Was sich dagegen bis in die jüngste Vergangenheit nicht verändert hat, ist seine äußere Gestalt.
Öffentliche Kritik an der Darstellung des Zwarte Piet kam bereits in den 1960er Jahren auf. Nachdem 1975 die ehemalige niederländische Kolonie Surinam die Unabhängigkeit erlangte und viele People of Color von dort in die Niederlande einwanderten, verschärfte sich die Diskussion um die Figur als kolonialrassistische Karikatur. In den 1980er Jahren bildeten sich Komitees zur Abschaffung dieses Festelementes (Rooijakkers 1997). Sein Äußeres sowie die untergeordnete, verspielte und anonyme Rolle eines Zwarte Piet wurde als Diskriminierung der Identität von People of Color kritisiert.
Der Soziologe Gerard Rooijakkers gibt an, dass das Gefühl der Diskriminierung von Teilen der Bevölkerung in den Niederlanden lange Zeit nicht ernst genommen wurde. Daran wurde „het maatschappelijk vermogen om racisme via folklore te ontkennen“ deutlich (Rooijakkers 1997, S. 251). Die Kritik wurde abgetan, indem der Zwarte Piet als traditionelles und harmloses Festelement dargestellt wurde, durch das der Bezug zur eigenen Kolonialgeschichte nicht gezogen werden könne (in Bezug auf die Argumentationsmuster hinsichtlich von Verkleidungen im Karneval vgl. Dafft 2019).
Eine Anerkennung der Kritikpunkte bestand in den 1990er Jahren darin, in den großen Umzügen auch nicht schwarz, sondern bunt geschminkte Pieten mitlaufen zu lassen. Dies stieß als vermeintlicher Traditionsbruch in der niederländischen Öffentlichkeit allerdings auf teilweise starke Ablehnung durch Traditionalist*innen (Helsloot 2004, S. 167). Das Sinterklaasfest wird in der Argumentation historisiert und als Symbol niederländischer Identität mit Bedeutung aufgeladen, wobei ein Brauchwandel als Verlusterfahrung wahrgenommen und abgelehnt wird (Rooijakkers 1997, S. 246; Helsloot 2004). Ein ähnlicher Diskurs, um Tradition und Wandel wurde in etwa zeitgleich um die Brauchgestalt des Weihnachtsmannes und das Weihnachtsfest als Beschertermin geführt.
Protestgruppen wie Kick out zwarte Piet oder die Kampagne Zwarze Piet is Rasisme engagieren sich seit circa zehn Jahren verstärkt gegen das Blackfacing und die damit einhergehende rassistische Diskriminierung von People of color in den Niederlanden (Hoffmann 2012). Mit einer Untersuchung kolonialer Elemente im Sinterklaasfest seitens einer Arbeitsgruppe des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, der damit auf Klagen zur Abschaffung der Zwarte Pieten reagierte, und der darauffolgenden landesweiten Proteste für die Beibehaltung des Nikolausbegleiters erreichte die Diskussion 2013 ihren bisherigen Höhepunkt (Müller 2013). Seitdem finden jährliche Demonstrationen sowie teils gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern des Nikolausbegleiters statt (NiederlandeNet 2018).
Im Jahr 2019 gab es erstmalig keine Zwarte Pieten beim offiziellen Intocht van Sinterklaas in die Niederlande. Ebenfalls in der fiktiven Kindernachrichtensendung Sinterklaasjournal, welche regelmäßig rund 1 Millionen Zuschauende auf dem Sender NTR verfolgen, wurden diese durch sogenannte Schornstein- oder Rußpieten ersetzt, deren Gesicht vom Weg durch den Schornstein zur Bescherung der Kinder, so die Erklärung, von Ruß befleckt ist (NiederlandeNet 2019). Eine schrittweise Distanzierung der niederländischen Medien vom Blackfacing als Form des Alltagsrassismus, die in Zeiten der globalen BlackLivesMatter-Bewegung längst überfällig ist, hat demnach begonnen.
Am Beispiel der Diskussion um die Figur des Zwarte Piet wird deutlich, dass das Sinterklaasfest in den Niederlanden als Arena für die Aushandlung der Frage dient, wie Menschen in einer pluralen Gesellschaft zusammenleben wollen. Dieser Frage muss sich jede Generation neu stellen. Eine Umfrage 2018 unter 40 000 Niederländer*innen hat ergeben, dass 68 Prozent der Befragten möchte, dass die Figur ihre schwarze Hautfarbe behält, 28 Prozent stimmt für eine Veränderung, wobei es sich vornehmlich um junge Menschen handelt. (EenVandaag Opiniepanel 2018).
Literatur
Boer-Dirks, Eugenie: Nieuw licht op Zwarte Piet. Een kunsthistorisch antwoord op de vraag naar de herkomst van Zwarte Piet, in: Volkskundig Bulletin 19:1 (1993), S. 1-35.
Braun-Balzer, Ines: „Zie ginds komt de stoomboot uit Spanje weer aan…“ – Der niederländische Sinterklass. In: Ludewig, Thomas (Hrsg.): Christkind, Weihnachtsmann & Co. Kulturgeschichtliches zu den weihnachtlichen Gabenbringern. Neuss 2007, S. 137-146.
Dafft, Gabriele: Korrekte Kostüme? Über den Ausnahmezustand Karneval und seine Verkleidungen. In: Alltag im Rheinland 2019, S. 30-45.
Dekker, Ton: Ausbreitung und Verbürgerlichung der niederländischen Festkultur im 19. und 20. Jahrhundert. In: Ders. u.a. (Hrsg.): Ausbreitung bürgerlicher Kultur in den Niederlanden und Nordwestdeutschland, Münster 1991, S. 42-55.
EenVandaag Opiniepanel: Onderzoek: Zwarte Piet is genoeg aangepast, 16-11-2018, Onderzoek: Lisette van Vliet, Jeroen Kester, Presentatie: Gijs Rademaker. Online unter: https://eenvandaag.avrotros.nl/panels/opiniepanel/alle-uitslagen/item/onderzoek-zwarte-piet-is-genoeg-aangepast/.
Graf, Andrea: Sinterklaas und Zwarte Piet in Blomberg/Lippe. Integration, Gestaltung und Wandel des niederländischen Nikolausbrauches, Münster 2010.
Graf, Andrea: Sinterklaas. In: Tappe-Pollmann, Imke: Typisch lippisch, Lemgo 2016, S. 63-68.
Helsloot, John: Nikolausfest und nationale Identität in Holland. In: Volkskunde in Rheinland-Pfalz 19/1, 2004, S. 158-170.
Helsloot, John: Sich verkleiden in der niederländischen Festkultur. Der Fall des Zwarte Piet. In: Rheinisches Jahrbuch für Volkskunde Bd. 36 (2005/2006), S. 137–153.
Helsloot, John: De strijd om Zwarte Piet. In: Hoving, Isabel/Dibbits, Hester/Schrover, Marlov (Red.): Veranderingen van het alledaagse 1950–2000, Den Haag 2005, S. 249–271.
Hoffmann, Julia: »Koloniales Klischee« In: Jungle.World 46/2012. Online unter: https://jungle.world/artikel/2012/46/koloniales-klischee.
Müller, Tobias: Pfeffernüsse und Volkszorn. In: Jungle.World 44/2013. Online unter: https://jungle.world/artikel/2013/44/pfeffernuesse-und-volkszorn.
NiederlandeNet. Grenzüberschreitender Onlinejournalismus: GESELLSCHAFT: Beim Sinterklaas-Einzug wird es zum ersten Mal nur noch "Ruß-Pieten" geben, Apeldoorn. EF/NRC/VK, 18. September 2019. Online unter: https://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/aktuelles/archiv/2019/0918Sinterklaasintocht.html.
NiederlandeNet. Grenzüberschreitender Onlinejournalismus: GESELLSCHAFT: Proteste bei Sinterklaas-Einzug – stellenweise mit Gewalt, Zaanstad/Eindhoven, SF/NOS/NRC/Trouw/HP/Guardian/VICE, 19.November 2018. Online unter: https://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/aktuelles/archiv/2018/1119-Proteste-Sinterklaas-Zwarte-Piet.html.
Rooijakkers, Gerard: Sinterklaas en de donkere dagen voor Kerstmis. De commercialisering van decemberrituelen. In: de Jong, Huub (Red.): Ons soort mensen. Levenstijlen in Nederland. Nijmegen 1997, S. 239-272.