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Tatort: Museum. Arbeitsalltag hinter den Kulissen eines Stadtmuseums
Im November war ich, Volontärin an der Abteilung Alltagskultur und Sprache des LVR-ILR seit Januar 2023, mal ganz woanders unterwegs. Für uns Volontierende gibt es nämlich die Möglichkeit, während unseres Volontariats für einige Wochen in anderen Einrichtungen zu hospitieren und diese in dem Zeitraum kennenzulernen.
Mich persönlich haben Museen schon immer sehr fasziniert, weshalb ich unbedingt einen Blick hinter die Kulissen werfen wollte. So ergab es sich also, dass ich für vier Wochen ins Stadtmuseum meines Wohnorts gewechselt bin.
Als Sprachforscherin bin ich es gewohnt, dass ich meine Forschungsgegenstände nicht anfassen kann. Somit war es schon direkt eine neue Erfahrung, die Dinge, mit denen ich mich beschäftigte, auch tatsächlich in den Händen zu halten.
Vieles bei der Personen- und Objektrecherche erinnert an Detektivarbeit. Jedes Objekt mit seiner Geschichte gleicht einem Fall, der gelöst werden will. Auf der Inventarkartei findet man erste Informationen: Wann das Objekt ins Museum kam, wie alt es schätzungsweise ist, wer die bzw. der ursprüngliche Besitzer*in war, etc.
Danach geht es mit der Zeugenbefragung weiter, nur dass man (in der Regel) keine Personen, sondern Fachliteratur befragt, um eine Einordnung des Objekts und seiner Hintergründe zu bekommen. Bei der Personenrecherche kommt auch die Sichtung von persönlichen und rechtlichen Dokumenten dazu, die meist in Kommunal- oder Stadtarchiven liegen. Und Schritt für Schritt fügen sich dann die Puzzleteile zu einem großen Ganzen zusammen.
Nachdem wir uns also für ein Objekt entschieden hatten, das ich während meiner Zeit dort bearbeiten sollte, ließ ich mich von meinem inneren Sherlock Holmes leiten und begab mich auf Spurensuche …
Wenn das Museum zum Detektivbüro wird. (Foto: Pexels)
13. November, 16:12 Uhr.
Es war kalt geworden. Die Art von Kälte, die einem die Beine hinaufkriecht, sich in den Gliedern festsetzt und nicht einmal von der Heizungswärme völlig vertreiben werden kann. Und seit Tagen regnete es.
Ich saß über meine Notizen gebeugt, den Laptop aufgeklappt vor mir, und trommelte nervös mit dem Kugelschreiber auf den Tisch. Was hatte ich übersehen?
Ich zog mir die Stoffhandschuhe über und griff zum wiederholten Mal nach dem hölzernen Schild, das Gegenstand meiner Untersuchung und so vieler schlafloser Nächte gewesen war. Auf den ersten Blick wirkte es wie ein ganz normales Praxisschild. Nichts Außergewöhnliches festzustellen. Eine glasklare Sache, und innerhalb weniger Tage hätte ich den Fall abgeschlossen.
Dachten wir jedenfalls.
Aber nachdem ich mich nur wenige Stunden mit dem Objekt beschäftigt hatte, musste ich feststellen, dass die Angelegenheit doch komplexer war, als wir ursprünglich angenommen hatten. Zum einen war mir klargeworden, dass die Jahreszahl auf der dazugehörigen Inventarkarte nicht stimmen konnte. Das Schild war definitiv jünger, als es bei der Inventarisierung damals geschätzt worden war. Etwa 20 Jahre jünger, genauer gesagt aus den 1950er Jahren. Das hatte ich den Unterlagen der Person entnehmen können, der das Schild ursprünglich gehört hatte. Zum anderen war der Text händisch aufgemalt worden. Ein kleines, aber wichtiges Detail, das uns zunächst entgangen war, denn die Buchstaben wiesen eine unglaubliche Präzision in ihrer Pinselführung auf. Das Werk eines Profi-Schildermalers. Die Schrift, die er verwendet hatte, war eine Abwandlung der Pergamon-Antiqua, einer Schriftart, die in den 1930ern sehr beliebt war. Kein Wunder also, dass der damalige Sachbearbeiter bei der Datierung auf dieses Jahrzehnt getippt hatte.
Das alles war jedoch nicht, was mir so zu schaffen machte – sondern die Rückseite.
Sie war komplett mit schwarzer Farbe übermalt worden, daher waren mir zunächst die Zeichen nicht aufgefallen, die sich darunter befanden. Es handelte sich um einen weiteren Schriftzug, aber er war unvollständig. Drei Wörter befanden sich darauf, zwei davon abgeschnitten. Ein Teil eines größeren Schildes, vermutlich viermal so groß.
Das passte zur Nachkriegszeit, denn im Zuge der Materialknappheit waren viele Dinge zerlegt und wiederverwertet worden, so auch dieses Schild.
Ich hielt das Schild so ins Licht, dass ich die leichten Erhebungen der Buchstaben unter der schwarzen Farbe erkennen konnte, um sie erneut mit meinen Abschriften zu vergleichen.
Bei der Schriftart handelte es sich um eine Gebrochene Grotesk, soviel hatte ich mittlerweile herausgefunden. Diese war 1930 erfunden worden, also musste das ursprüngliche Schild aus der NS-Zeit stammen.
Aber was stand dort? Das Schild war so zugeschnitten worden, dass nur die untere Hälfte des obersten Wortes vorhanden war. Der vorletzte Buchstabe war ein „p“, das war eindeutig. Der Buchstabe danach konnte nur ein „f“ sein.
„P-F“, murmelte ich. „Wie viele Wörter enden auf P-F?“
Kampf, Dampf … Das waren logische Kandidaten. Passend zur Kriegszeit. Aber nichts davon passte zu den Formen, die sich dort in dem schwarzen Lack vor mir abzeichneten. Nicht einmal die Befragung des digitalen Wortfinders, den ich aufgespürt hatte, hatte mich sonderlich weitergebracht. Nichts, was er mir sagen konnte, hatte ich nicht schon in Erwägung gezogen und schließlich verworfen.
Ich warf einen Blick auf die Uhr. Schon nach 5.
Mit einem tiefen Seufzen ließ ich das Schild zurück auf den Tisch sinken.
Vielleicht musste ich einsehen, dass ich nicht mehr über das ursprüngliche Schild und die Schrift auf der Rückseite herausfinden würde, als dass es existiert hatte. Die Fährte war kalt geworden. Ein weiterer, ungelöster Fall, der an mir nagen würde …
Nicht jeder Fall wird gelöst. (Foto: Pexels)
Einen Monat später kann ich nun sagen, dass sich Sprachforschung und Museumsarbeit in erstaunlich vielen Dingen ähneln. Ob ich nun die Geschichte eines physischen Objekts oder eines sprachlichen Begriffs untersuche, der erste Griff geht ins Bücherregal zur Fachliteratur. An der wissenschaftlichen Vorgehensweise ändert sich nichts.
Aber das Auge für Spuren, für diese kleinen Details am Rande, die normalerweise untergehen würden, sowie das Nachgehen dieser Details und ihrer Implikationen für das Gesamtbild – das sind zwei der vielen Dinge, die ich auf jeden Fall aus meiner Zeit im Museum mitnehmen werde.
Eleonore Laubenstein