LVR-Institut für Landeskunde
und Regionalgeschichte
Logo LVR

Kinder als Bischöfe? - Unerhörtes am Nikolaustag im mittelalterlichen Köln.

Darstellung des sog. Kinderbischofs (16. Jh.). Dieser zeigt einen mit Mitra und Bischofsstab ausstaffierten Schülerbischof mit zwei Ministranten. Quelle: Bamberg (Index omnium festorum et sanctorum secundum ordinem Stephaninae ecclesiae Bambergae annuatim dies demonstrans) (IHV.MSc. 476, fol. 251v.), Staatsbibliothek Bamberg [Wikipedia gemeinfrei]

Im 16. Jh. ereigneten sich in Köln am Nikolaustag uns merkwürdig, ja eigentlich unerhört erscheinende Dinge. Darüber berichtet der damalige Ratsherr der Domstadt Hermann Weinsberg (1518–1597). Für das Jahr 1566 notierte er, dass in der am Neumarkt gelegenen Kirche St. Aposteln am Nikolausfest, also am 6. Dezember, ein Kinderbischof gekürt worden sei:

„den 6. Dezember ist Reinhart, das Kind meines Schwagers und meiner Schwester zu St. Aposteln, wo es zur Schule ging, Bischof gewesen.“

St. Aposteln war bis zur Aufhebung im Rahmen der Säkularisation im Jahre 1802 ein großes und bedeutendes Kanonikerstift und diente auch als Sitz einer Pfarrei. Dort unterhielt man zudem eine Schule, die der Junge Reinhart besuchte.

Ein Kind also wurde in der in einer der ältesten und wichtigsten Diözesen Deutschlands, deren Vorsteher im Reich eine enorm wichtige Rolle – auch in politischen Dingen – spielte, zu einem Bischof gemacht – genauer zu einem Kinderbischof. Allerdings ging diese Tradition weit in das Mittelalter zurück und war nicht allein in Köln üblich, sondern der Brauch war an vielen Kloster- und Stiftsschulen im ganzen Land, ja sogar in ganz West-, Mittel- und Südeuropa verbreitet. Zuweilen wurden die Kinder als „Abt“ oder „Kaplan“ – in Augsburg sogar als „Papst“ – tituliert. Die Regentschaft war jedoch meist kurz: meist beschränkte sie sich auf mehrere Tage; es brauchte nicht unbedingt der Nikolaustag sein, sondern konnte auch auf den „Tag der unschuldigen Kinder“ oder auf Neujahr fallen. Der Mönch Ekkehard des Klosters St. Gallen berichtete im 11. Jh. über drei Spieltage in seiner Abtei. In der Regel war das Bischofsspiel eng mit den Festen des Weihnachtskreises verbunden.

Die Kinder erhielten die entsprechenden Gewänder, und zur Seite standen ihnen meist noch andere Kinder als Hilfen bzw. Begleitung, die in die Kirche einzogen und dort gewisse Aufgaben bei liturgischen Feiern wahrnehmen durften. Mitschüler konnten zu „Kaplänen“ bestimmt werden.

Als Vorbild dienten wohl auch Narrenfeste. Der Rollentausch, ja die Umkehrung der Verhältnisse auf Zeit, war auch dort ein beliebtes Mittel, um Botschaften Raum zu geben, die sonst kein Gehör fanden. Es stellte ferner die Möglichkeit für die Kinder dar, ihre Anliegen publik zu machen und zu hoffen, dass sie in der Welt der Erwachsenen Gehör finden. Mit der Einsetzung eines Kinderbischofs wurde der tatsächliche Amtsinhaber für abgesetzt erklärt. Der eigentliche Bischof musste sich zur allgemeinen Erheiterung den Weisungen des Kinderbischofs beugen. Das Ganze war auch eine Mahnung zur Demut. Der spielhaft inszenierte Ämter- und Hierarchiewechsel stellte zudem eine Möglichkeit der vorübergehenden Lösung und Befreiung aus der Alltagsrealität dar.

Was durften die Kinderbischöfe in ihrer Regentschaft machen? Sie konnten quasi-kultische Aufgaben übernehmen, Prozessionen oder Umzüge anführen. Der Kinderbischof „visitierte“ zudem die Klosterschule, bestrafte Schüler oder belohnte sie mit Süßigkeiten. „Paraliturgisch“ gestalteten sich die Grauzonen von Spiel, Ritual und Liturgie in der spätmittelalterlichen Frömmigkeit. Beliebt waren vor allem abendliche Umzüge, Festessen, Bitt- oder Bettelgänge. Die Aktivitäten konnten allerdings auch aus dem geplanten bzw. bewilligten Rahmen laufen – und zuweilen in blasphemische Handlungen, aufdringliche Bettelei, nächtliches Singen oder sogar Handgreiflichkeiten ausarten. Infolgedessen kam es immer wieder zu Verbots- oder Reglementierungsversuchen.

Theologische Wurzeln wurden unter anderem im Lobgesang der Hl. Gottesmutter Maria im „Magnificat“ gesucht; dort heißt es: „Die Mächtigen hat er vom Thron gestoßen und die Geringen erhöht“. Es war die Mahnung an die Mächtigen – auch die geistlichen Würdenträger – sich der Nichtigkeit und Vergänglichkeit irdischer Macht stets gewärtig zu sein, Demut zu üben und sich vor Amtsmissbrauch zu hüten. Der Kinderbischof verkörpert dabei kindliche Werte wie Reinheit, Demut und Einfachheit, zu deren Einhaltung er in Predigten oder szenischen Spielen den erwachsenen Klerus mahnt.

Heute gibt es an einigen Orten erneut Kinderbischöfe, wie z. B. in Hamburg, wo alljährlich drei Kinderbischöfe mit den Bischofsabzeichen – Stab, Mitra, Ring, Mantel und ein Kreuz – eingesetzt werden.

Weiterführende Links:

Zu Hermann Weinsberg: http://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hermann-weinsberg-/DE-2086/lido/57c92b77809486.24332905

Zur Geschichte des Erzbistums Köln: http://rheinische-geschichte.lvr.de/Orte-und-Raeume/erzbistum-koeln-/DE-2086/lido/57d11a6076c626.53176868

Gewinnspielfrage

Wie heißt die Rheinmetropole, in der Hermann Weinsberg gelebt hat?
Die Antwort kann gesendet werden an: wj.rosen@lvr.de

nach oben