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Jeckes Erbe in Berlin - Ein Tagungsbericht

"Unfassbar! Immeraterielles Kulturerbe und Museen!"

Plakat zur Tagung im Museumsfoyer Tagung "Unfassbar! Immaterielles Kulturerbe und Museen". Hinweisschild zum Museum Europäischer Kulturen. Die zweitägige Tagung fand im Museum Europäischer Kulturen statt.

Der vergangene Monat war durch Veranstaltungen geprägt und führte uns unter anderem nach Berlin. Dort fand am 6. und 7. Juni die Tagung „Unfassbar! Immaterielles Kulturerbe und Museen“ statt. Eingeladen hatten das Museum Europäischer Kulturen und das Institut für Museumsforschung. Zwei Kolleginnen aus unserer Abteilung Alltagskultur und Sprache - Dr. Lisa Maubach und Gabriele Dafft - diskutierten dort mit internationalen Vertreter*innen aus Kulturanthropologie, Ethnologie, Museumswissenschaften und anderen Disziplinen. Es ging um die vielfältigen Herausforderungen, die mit der Präsentation von immateriellem Kulturerbe im Museum einhergehen. Ziel der Tagung war es, ein größeres Bewusstsein für diese Zusammenhänge herzustellen und neue Impulse für die Museums- und Forschungsarbeit zu bekommen.

Kulturpolitische Konzepte hinterfragen

Der erste Tag widmete sich den komplexen Beziehungen zwischen Akteur*innen, Praktiken und Verortungen des Immateriellen sowie den Sammlungen, Objekten und Prozessen in Museen. Dieser Tagungstag grundierte das Programm vor allem theoretisch, während sich der zweite Tag auf Berichte über konkrete Praxisbeispiele konzentrierte. An beiden Tagen wurde das Konzept des „Kulturellen Erbes“ kritisch reflektiert. Unter anderem verwies Markus Tauschek (Universität Freiburg) in seiner Keynote am 7. Juni darauf, dass „Kulturerbe“ ein genuin kulturpolitisches Konzept sei und kulturpolitische Terminologien nicht unhinterfragt in museale Repräsentationspraktiken einfließen sollten. Er plädierte dafür, dass Ambivalenzen, Dissonanzen und Diskurse um das vermeintlich „echte“ immaterielle Erbe einbezogen werden müssen. Die didaktische Reduktion im Ausstellungsbetrieb läuft sonst schnell Gefahr, monolithische Perspektiven einzunehmen und nur das zu repräsentieren, was kulturpolitisch als immaterielles Erbe verstanden wird.

„Wer hat die Deutungsmacht?“

„Wer hat die Deutungsmacht?“, wenn Immaterielles Kulturerbe museal vermittelt wird? Um diese Frage, aber auch um Vielfalt und Ambivalenzen ging es in dem Vortrag von Gabriele Dafft und Philipp Hoffmann (Stadtmuseum Bonn): „Wenn Objekte schunkeln. Jeckes Erben ausstellen“. Ihre Tandempräsentation reflektierte ein Forschungs- und Ausstellungsprojekt anlässlich des Jubiläums "200 Jahre Bonner Karneval". Das Projekt soll die bunte Vielfalt des rheinischen Brauchkomplexes multimedial spiegeln, indem es diverse Akteur*innen zu Wort kommen lässt und unterschiedliche Quellen erschließt.

Vortragspräsentation "Jeckes Erbe ausstellen. Wenn Objekte schunkeln." Vortrag "Wenn Objekte schunkeln. Jeckes Erbe ausstellen" von Gabriele Dafft und Philipp Hoffmann ... über die Herausforderungen das Kulturerbe "Rheinischer Karneval" fassbar zu machen.

Der multiperspektivische Ansatz, von dem sich das LVR-ILR neue Erkenntnisse über den Rheinischen Karneval verspricht, steht in einem produktiven Spannungsverhältnis zum Fokus des Festausschusses Bonner Karneval. Der Ausschuss repräsentiert den organisierten Karneval und hat als Kooperationspartner des Projekts vor allem die historische Aufarbeitung des Brauchs im Blick. Das LVR-ILR wiederum möchte unter dem Arbeitstitel „Gesichter und Geschichten“ des Karnevals eine Brücke zur Gegenwart schlagen und vielfältigen auch außerinstitutionellen Brauchträger*innen Raum für ihre Deutungen, Erfahrungen und Erwartungen geben.

„Karneval zeichnet sich durch eine Gleichzeitigkeit widersprüchlicher Aspekte aus. Diese Spannungsfelder", so G. Dafft gehören zum Wesen des Karnevals und sind essenziell für dieses immaterielle kulturelle Erbe. "Karneval bewegt sich zum Beispiel zwischen Tradition und Innovation, zwischen Kreativität und Uniformität, zwischen Ordnung und Unordnung oder Subversivität und Anpassung." Eine analystische Einordnung dieser und weiterer Ambivalenzen sei ein wesentlches Anliegen des Projektes.

Einblicke in die Museumspraxis

Flechtobjekte im Ausstellungsraum, an der Wand der Titel "All Hands on. Flechten" Der erste Tagungstag endete mit einer Führung durch die Sonderausstellung des MEK. Skulptur, die Stoff und Kunststoffdetails miteinander verflechtet. Flechtobjekte in handwerklicher Tradition oder wie hier als modernes skulpturales Kunstwerk.

Zum innovativen und bereichernden Ansatz der Tagung gehörte, dass zahlreiche Träger*innen kulturellen Erbes das Programm aktiv mitgestalteten: Deutlich wurde dies am zweiten Tag, als Vortrags-Tandems konkrete Einblicke in Ausstellungsvorhaben und museale Praxis gaben. Best Practice Beispiele zeigten so, wie es gelingen kann, Immaterielles „fassbar“ zu machen. Dass es am Beispiel des Handwerks auf kompetenten Wissenstransfer wie auf kontinuierliche Praxis ankommt, wurde etwa im Vortrag „Hecken flechten: Könnerschaft aus Westfalen“ von Agnes Sternschulte und Ulrich Pieper (beide LWL- Freilichtmuseum Detmold) deutlich.

Auf einem Vortragspodium steht ein Mann, der ein Handwerksgerät präsentiert. Vorträge aus der Museumspraxis gaben Einblicke in das Thema Wissenstransfer. Hier am Beispiel des Heckenflechten im LWL-Freilichtmuseum Detmold Auf einem Tagungspodium unterhalten sich zwei Frauen. Abschluss der Tagung: Lisa Maubach im Gespräch mit Patricia Rahemipour.

Die Tagung schloss mit einem Kommentar von Lisa Maubach, die die Herausforderungen im Umgang mit Immateriellen Erbe zusammenfasste. Der handelnde Mensch sei Schlüssel sowohl zur materiellen als auch zur immateriellen Kultur und könne so für die Verbindung von Museum und Immateriellem Kulturerbe sorgen. Dies führe, so L. Maubach, zu Spannungsfeldern, die sich aufgrund verschiedener Erwartungshaltungen, (fachlicher) Perspektiven, Wissensstände, Ressourcen, Zugänglichkeiten ergeben. Während der erste Tag diese Spannungsfelder unter dem Stichwort „gaps“ diskutierte, fand der zweite Tagungstag dafür den Terminus der „Deutungshoheit“.

Text: Gabriele Dafft
Fotos: Gabriele Dafft, Lisa Maubach