LVR-Institut für Landeskunde
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Tour de Revier – das ILR unterwegs

Zwischen Abbruchkante und Aktivist*innencamp

An eine Straßenecke steht ein Stand mit Pavillions Bierbänken, Fahnen, Plakaten und Transparenten. Sie zeigen Protestsymbole und Slogan wie "Alle Dörfer bleiben" . Infostand vor dem Camp in Lützerath. Foto: Kerstin Schierhold/LVR-ILR

An einem sonnigen Dienstagmorgen im August brach die Abteilung Alltagskultur und Sprache des ILR, personell etwas dezimiert durch Urlaub und Corona, aber guter Dinge, auf, das Rheinische Revier zu erkunden. Unsere Kollegin Anja Schmid-Engbrodt, der wir an dieser Stelle herzlich danken, hatte eine Tour vorbereitet, die uns rund um den Tagebau Garzweiler von Lützerath über den Aussichtspunkt Garzweiler-Nord bei Hochneukirch nach Keyenberg Alt nach Keyenberg Neu führen sollte. Auf dem Weg nach Lützerath gab Anja uns schon einmal einige Zahlen mit auf den Weg, die den Braunkohletagebau in der Region beschreiben. So etwa die 31 km² Betriebsfläche, die der Tagebau Garzweiler einnimmt. Das entspricht der unvorstellbaren Zahl von 4340 Fußballfeldern!

Das Aktivist*innencamp in Lützerath

In Lützerath angekommen, besuchten wir das Aktivist*innencamp, das sich auf dem Gelände des Landwirts Eckart Heukamp eingerichtet hat und erfuhren von Demeter, einer Bewohnerin, viel Interessantes über das Leben im Camp. Die Menschen hier vereint nicht nur der vielfältige, aus mehreren Bewegungen entstandene Protest gegen den Abriss des denkmalgeschützten Hofs, sondern auch ein Eintreten für alternative Gesellschaftskonzepte, die im Camp gelebt werden. Allen steht aber eine ungewisse Zukunft bevor, denn der Hof und das Gelände sind nach dem letztgültigen Gerichtsurteil schon bald zu räumen.

Die Dimensionen des Tagebaus

Braunkohlebagger in einer kargen Landschaft, im Hintergrund Windräder und Industrieschornsteine. Blick auf den Tagebau Garzweiler. Die größten Bagger der Welt arbeiten hier. Foto: Kerstin Schierhold/LVR-ILR

Mit einigen Gedanken im Kopf zur Zukunft von Lützerath und – bei dem einen oder der anderen vielleicht auch zur Zukunft unserer Gesellschaft – ging es anschließend zum Aussichtspunkt Garzweiler-Nord bei Hochneukirch. Hier blickt man auf bzw. in den laufenden Tagebau, der mit seinen riesigen Dimensionen kaum zu erfassen ist. Eine Schaufel am Aussichtspunkt, in die ohne weiteres ein Kleinwagen passt und die von einem der in Garzweiler eingesetzten Bagger stammt, vermittelt immerhin eine vage Ahnung von den Ausmaßen dieser hier eingesetzten größten Landfahrzeuge der Welt.

Besuch in Keyenberg: Alter Ort und Neubaugebiet

Auf eine Wiese mit Obstbäume seht eine Informationstafel, auf ihr sind Karten mit Protestotschaften gegen den Abriss des Dorfs befästigt . Große, gelbe Paragraphensymbole sind einem Zaun vor der Wiese angebracht. Solidaritätswiese in Keyenberg Alt. Foto: Kerstin Schierhold/LVR-ILR

Keyenberg Alt, eines der Dörfer, die bis vor Kurzem noch abgerissen werden sollten, war dann unser nächstes Ziel. Bei einem kleinen Rundgang lernten wir unter anderem die so genannte Solidaritätswiese kennen, den Ort, der als erstes hätte abgebaggert werden sollen und auf der sich auch die erste Protestaktion gegen den Abriss abspielte. – Die Menschen sind zum Teil bereits umgezogen, aber es leben nach wie vor einige in Keyenberg Alt, so auch Norbert Winzen, der mit seiner Drei-Generationen-Familie einen alten Vierkanthof bewohnt. Im Gespräch mit Herrn Winzen, dem wir herzlich für seine Gastfreundschaft danken, bekamen wir einen persönlichen und beeindruckenden Einblick in die jüngere Geschichte des Ortes Keyenberg und die Geschichte des Protests gegen den Abriss. Wir sprachen dabei auch über die aktuelle politische Entscheidung, den Ort nicht abzureißen, und die Frage nach der Zukunft von Keyenberg Alt.

Diese Frage stellte sich insbesondere nochmals beim Abschluss unserer Tour de Revier in Keyenberg Neu. Hier haben sich schon einige (Alt-)Keyenberger neu eingerichtet und versuchen Liebgewonnenes beizubehalten, aber auch Neues zuzulassen und einzuführen. Wie leicht oder schwer das im Einzelfall den Menschen fällt, wird über ein Forschungsprojekt des ILR begleitet.

Der Tag im Revier hatte viele schöne, aber den ein oder anderen etwas nachdenklich stimmenden Moment. Doch gehören beide zum Alltag dazu, und in diesem Sinne wird sicherlich den meisten von uns die Tour de Revier in Erinnerung bleiben!

Text: Kerstin Schierhold