LVR-Institut für Landeskunde
und Regionalgeschichte
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Grünkohl - Boßeln - Bollerwagen

schwarz-weiß-Abbildung eines Grünkohlfeldes Grünkohlfeld

In fast ganz Deutschland gilt er als das Wintergericht schlechthin – der Grünkohl. Die Bezeichnungen variieren dabei je nach Region, in Bremen wird er "Braunkohl", in Ostfriesland "Grönkool", am Niederrhein "Hoffmus" und in der Soester Börde "Käölmaus" genannt, in Oldenburg ist das Kreuzblütengewächs auch als "oldenburger" oder "friesische Palme" bekannt. Die Zubereitung unterscheidet sich im Detail, allen Rezepten ist allerdings gemeinsam, dass der Grünkohl vor der Ernte Frost bekommen muss, damit er schmeckt. Zumeist werden die Grünkohlblätter klein geschnitten und relativ lange gekocht, in vielen Rezepten wird für den würzigen Geschmack gegen Ende der Garzeit eine sogenannte Kohlwurst dazugegeben. Diese ist entweder eine Lungenwurst oder eine Mettwurst, auch "Bregenwurst" genannt. Im Raum Moers gibt es die "Irkeswurst" aus Nieren, um Bremen und Oldenburg "Pinkel", eine geräucherte Grützwurst. Aber auch gepökeltes oder geräuchertes Fleisch, wie "Kassler", wird zum Grünkohl gegessen, die jeweils als typisch empfundene Fleischbeilage macht den überregionalen Grünkohl zu einem regionalen Gericht. Auch die unbedingt erforderliche Kartoffelbegleitung, die sich im Laufe des 18. Jahrhunderts zum Kohl gesellte, kann regional variieren: ob die Kartoffeln gekocht oder gebraten neben dem Grünkohl serviert werden, ob sie kleingeschnitten im Kohl mitgaren, oder zu Püree gestampft unter den Kohl gezogen werden, macht westfälische, rheinische oder bremische Varianten aus.

In Niedersachsen, Schleswig Holstein und im Oldenburger Land gibt das Gemüse auch Anlass für Unternehmungen. Kohl- und Pinkelfahrten von Gruppen sind dort sehr verbreitet. Die Vereine, Firmen oder Freundeskreise treffen sich zum Boßeln oder Klootschießen, um anschließend beim gemeinsamen Grünkohl-Essen zu feiern. Auf diesen Touren durch die winterliche Natur darf der eine oder andere Schnaps, mitgeführt im Bollerwagen, nicht fehlen.

Der Grünkohl ist zu einer Spezialität von hohem Bekanntheitsgrad und damit auch zu einem touristischen Erkennungszeichen für die Region geworden. Der Verzehr wird dabei vor allem in Gesellschaft zelebriert, in Restaurants und Gaststätten mit regionaltypischer Küche, auf Weihnachtsmärkten oder bei Familientreffen. Der Grünkohl hat in manchen Orten einen Kultstatus, es werden Kohlköniginnen und –könige gewählt, in Oldenburg existiert gar eine Grünkohl-Akademie. Hier ist der Grünkohl besonders populär. Alljährlich lädt die Stadt Oldenburg, die sich selbst als "Kohltourhauptstadt" bezeichnet, bekannte Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur in die Landesvertretung Niedersachsens nach Berlin ein. Hier wird das "Defftig Ollnborger Gröönkohl-Äten" zelebriert, zum Kohlkönig wird immer ein Politiker gewählt, 2012 war es Günther Oettinger. Auch Osnabrück kürte 2013 seinen 60. Grünkohlkönig – was zeigt, dass diese Tradition eine des 20. Jahrhunderts ist.

Was den einen Gaumenschmaus, ist für Menschen mit einer anderen Geschmacksbiographie ein Graus. In seinen Briefen berichtet der flandrische Humanist Justus Lipsius über das Grünkohlessverhalten im Oldenburger Land im späten 16. Jahrhundert, das er während einer Reise in einem Gasthaus mitbekommt: „Eine ungeheure Kumme voll braunen Kohls. Einen Fingerbreit darüber her fließt die Brühe von Schweinefett. Diesen Ambrosia essen meine Westphälinger nicht, sie verschlingen ihn. Mich ekelt er an.“ Diese Meinung begründete sich wohl eher auf den damaligen Ruf als Arme-Leute-Essen oder die Zubereitungsweise, denn auch in Belgien und den Niederlanden ist "Groenekoolstoemp" (Kartoffel-Grünkohlstampf) bis heute ein gängiges Gericht. Braunkohl mit Pinkel ist desweiteren ein unverzichtbarer Bestandteil der Speisenfolge des seit 1545 stattfindenden Bremer Schaffermahls, welches heute gesellschaftliches Großereignis und Aushängeschild der Stadt ist. Auf diese Weise wird auch über die Gerichte eine Tradition und regionale Identität hergestellt. So wurde auch der Grünkohl hoffähig, ob als Grund für eine Königskrönung, als Gericht bei einer großen Spendenveranstaltung oder als Anlass für einen gemeinsamen Ausflug.