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Vom letzten bis zum ersten Schützenfest in Keyenberg (neu)
Filmische Dokumentation eines Vereins im tagebaubedingten Umsiedlungsprozess
Die Protagonist*innen der Keyenberg-Trilogie erzählen in diesem interviewbasierten Filmprojekt über die Herausforderungen eines Vereins im Wandel, das Abschiednehmen und die Zukunftsperspektiven, ihre eigene Handlungsmotivation sowie ihr persönliches Heimatverständnis.
Der Ort Keyenberg liegt im Rheinischen Braunkohlerevier und befindet sich in einem Prozess des Strukturwandels. Bis Ende 2022 war vorgesehen, dass die Kohle unter Keyenberg ab 2026 abgebaut werden sollte. Mit dem vorgezogenen Ausstieg aus der Kohleverstromung 2030 (Beschluss vom Dez. 2022, nach Abschluss der Dreharbeiten) wird die Kohle unter dem Ort, ebenso wie unter den Nachbarorten Kuckum, Berverath, Ober- und Unterwestrich nicht mehr in Anspruch genommen. Damit entfällt auch der Anlass für die weitere Umsiedlung der Bevölkerung. Diese begann in Keyenberg 2016 mit dem Erhalt des Umsiedlerstatus. Viele Bewohner*innen sind seitdem gemeinsam in das circa zehn Kilometer entfernte Neubaugebiet Erkelenz-Nord umgesiedelt, wo die Orte Keyenberg (neu), Berverath (neu), Westrich (neu) und Kuckum (neu) gegründet wurden. Andere Bewohner*innen sind ganz weggezogen. Im Altort Keyenberg leben Stand 31.12.2022 noch 146 Menschen, im Neuort 446 (Bevölkerungsstand Stadt Erkelenz).
Zum Schützenfest geschmückte Borschemicher Straße in Keyenberg. Foto: Andrea Graf, LVR-ILR Aufstellen der Schützen vor der Keyenberger Kirche. Foto: Andrea Graf, LVR-ILR
Der jahrelange Prozess der Umsiedlung, die Entscheidung zu Gehen oder zu Bleiben, betraf nicht nur Privatpersonen und Gewerbetreibende, sondern auch die Vereine. Für den betroffenen Ort Keyenberg stellt die St. Sebastianus-Schützenbruderschaft gegr. 1449 e.V. eine für die Bewohner*innen identitätsstiftende Gemeinschaft dar. Im Mai 2019 wurde das letzte Fest im Altort als Bezirksschützenfest und Jubiläum groß gefeiert: Diesen Umstand nahmen wir vom LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte zum Anlass, eine Filmdokumentation über die Keyenberger Schützenbruderschaft zu drehen. Da sie der größte örtliche Verein ist, lässt sich an ihrem Beispiel der Umgang mit dem erzwungenen Wandel, unter dem die soziale Gemeinschaft und ihre Praktiken ihre Selbstverständlichkeit verlieren, begleiten. Es stellten sich Fragen, die die Herausforderungen für den Verein aufzeigen: Ziehen genug Vereinsmitglieder in den Neuort, um die Aktivitäten aufrecht zu erhalten? Wie können diejenigen eingebunden werden, die zukünftig weiter entfernt wohnen? Wie lassen sich stimmungsvolle Feste in einem Neubaugebiet organisieren? Wohin ohne Vereinsheim oder Gemeindezentrum?
Mitglieder der Schützenbruderschaft in Keyenberg (neu) zu Beginn des ersten Festes im Mai 2022. (Foto: Anja Schmid-Engbrodt/LVR-ILR) Jungschützinnengruppe Meeresperlen stellt den Maibaum am Haus der Schülerprinzessin auf. Mai 2022, Keyenberg (neu). (Foto: Anja Schmid-Engbrodt/LVR-ILR)
Betrachtet man die Bruderschaft als Träger des immateriellen Kulturerbes – denn als das ist das Schützenwesen von der Deutschen UNESCO-Kommission seit 2015 ausgezeichnet – so wird in Strukturwandelprozessen neu verhandelt, was zum kulturellen Erbe einer Region zählt.
Die Vorbereitungen für das letzte Fest im Mai 2019 in Keyenberg stellten den Beginn der Dreharbeiten dar. Im Mai 2020 sollte das erste Schützenfest in Keyenberg (neu) stattfinden, dessen Planung und Ausrichtung ebenfalls filmisch dokumentiert werden. Dieses Fest musste aufgrund der Coronapandemie und der damals geltenden Schutzverordnung sowohl 2020 als auch 2021 abgesagt werden. Dies hatte Auswirkungen auf das Filmprojekt, welches nicht wie geplant mit der Dokumentation des ersten Festes abgeschlossen werden konnte.
Grundsteinlegung für die St. Petrus Kapelle in Keyenberg (neu) im März 2021 während der Coronapandemie. (Foto: Anja Schmid-Engbrodt/LVR-ILR) Mitglieder der Schützenbruderschaft im Interview mit dem Filmteam im Mai 2022. Im Hintergrund die St. Petrus Kapelle in Keyenberg (neu). (Foto: Anja Schmid-Engbrodt/LVR-ILR)
Über die Ereignisse im alten Dorf 2019 entstand ein erster Film mit dem Titel "Das letzte Fest. Die St. Sebastianus Schützenbruderschaft Keyenberg siedelt um" (LVR-ILR 2021).
Die Alltagskulturforscher*innen im ILR begleiteten die Bruderschaft durch die Coronazeit weiter mit der Kamera, bis im Mai 2022 das erste Fest im neuen Ort endlich gefeiert werden konnte.
Aus dem Drehmaterial entstanden sind zwei weitere Filme "Angekommen? Die St. Sebastianus Schützenbruderschaft Keyenberg bewältigt Umsiedlung und Coronapandemie" und "Das erste Fest. Wie die St. Sebastianus Schützenbruderschaft in Keyenberg (neu) angekommen ist" (LVR-ILR 2023). Sie thematisieren die Phase des pandemischen Stillstandes, die Suche nach Möglichkeiten unter diesen Umständen ein Vereinsleben im Neuort zu etablieren, die Planung und Ausrichtung eines Festes unter dem Einfluss der Umsiedlung sowie der Coronapandemie und den Umgang mit Traditionen. Denn für die Schützenschwestern und -brüder steht fest, dass das Vereinsleben im Neuort auch in Zukunft fortbestehen wird.
Die Filme "Angekommen?" und "Das erste Fest" feierten am 17. August 2023 in Keyenberg (neu) Premiere. Informationen zur Veranstaltung finden Sie hier.
Alle drei Filme können Sie auf dem YouTube-Kanal "Alltagskulturen im Rheinland" anschauen.
Zum Thema kürzlich erschienen:
Andrea Graf: Vom ersten und letzten Fest. Ein Filmprojekt begleitet den Schützenverein Keyenberg im Umsiedlungsprozess. In: Rheinische Heimatpflege 3/2023, S. 245-256.
Ansprechpartnerin
Andrea Graf M.A.
LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte
Endenicher Straße 133
53115 Bonn
Telefon: +49 (0) 228 9834 - 266
E-Mail: andrea.graf@lvr.de