LVR-Institut für Landeskunde
und Regionalgeschichte
Logo LVR

Das letzte und erste Schützenfest in Keyenberg

Filmische Dokumentation eines Vereins im tagebaubedingten Umsiedlungsprozess

2015 nahm die Deutsche UNESCO-Kommission das Schützenwesen in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes auf. Unter immateriellem kulturellen Erbe verstehen wir Konzepte, Praktiken, Wissensbestände und soziale Konfigurationen einer Gesellschaft. In Vereinen mit ihren Festen und gemeinschaftlichen Aktivitäten werden kulturelle Praktiken gelebt und damit bewahrt.

In Phasen des Wandels, wie die tagebaubedingte Umsiedlung der Dörfer in der Erkelenzer Börde im Rahmen der Braunkohleförderung Garzweiler II, verlieren soziale Gemeinschaften und deren Praktiken ihre Selbstverständlichkeit: Ziehen genug Vereinsmitglieder in den Neuort, um die Aktivitäten aufrecht zu erhalten? Wie können diejenigen eingebunden werden, die zukünftig weiter entfernt wohnen? Wie lassen sich stimmungsvolle Feste in einem Neubaugebiet organisieren? Wohin ohne Vereinsheim oder Gemeindezentrum? Was zum kulturellen Erbe einer Region zählt, wird neu verhandelt.

Zum Schützenfest geschmückte Borschemicher Straße in Keyenberg. Zum Schützenfest geschmückte Borschemicher Straße in Keyenberg. Foto: Andrea Graf, LVR-ILR Aufstellen der Schützen vor der Keyenberger Kirche. Aufstellen der Schützen vor der Keyenberger Kirche. Foto: Andrea Graf, LVR-ILR

Für den betroffenen Ort Keyenberg stellt die St. Sebastianus-Schützenbruderschaft gegr. 1449 e.V. eine solche für die Bewohner*innen identitätsstiftende Gemeinschaft dar. Und diese Gemeinschaft erfährt, genauso wie alle anderen Vereine in Keyenberg, Kuckum, Berverath und Westrich einen Strukturwandlungsprozess. Diesen Umstand nehmen wir zum Anlass, eine Filmdokumentation über die Keyenberger Schützenbruderschaft zu drehen. Da sie der größte örtliche Verein ist, lässt sich an ihrem Beispiel ein Prozess des Weggehens und Ankommens mit all seinen Herausforderungen begleiten.

Im Mai 2019 wurde das letzte Fest im Altort als Bezirksschützenfest begangen und konnte ebenso wie die Spätkirmes von den Alltagskulturforscher*innen im ILR filmisch begleitet werden. Zugleich handelte es sich um das 570jährige Jubiläum des organisierten Schützenwesens in Keyenberg. Für die Schützenschwestern und -brüder steht fest, dass diese Tradition und das Vereinsleben auch im Neuort fortbestehen sollen.

Das Kamerateam bei den Dreharbeiten. Schützen enthüllen ein Schild. Das Kamerateam bei den Dreharbeiten. Schützen enthüllen ein Schild. Foto: Andrea Graf, LVR-ILR Großer Umzug der Schützen am Sonntag, Keyenberg, Westricher Str. Großer Umzug der Schützen am Sonntag, Keyenberg, Westricher Str. Foto: Andrea Graf, LVR-ILR Dreharbeiten im Festzelt, Trommler- und Pfeifercorps spielt. Dreharbeiten im Festzelt, Trommler- und Pfeifercorps spielt. Foto: Andrea Graf, LVR-ILR

Wir fragen danach, wie der Verein die Planung und Ausrichtung eines Festes unter dem Einfluss der Umsiedlung gestaltet. Gibt es symbolische Handlungen zum „letzten“ und zum „ersten“ Fest? In Interviews erzählen die Protagonist*innen über die Herausforderungen eines Vereins im Wandel, Zukunftsperspektiven, ihre eigene Handlungsmotivation sowie ihr persönliches Heimatverständnis.

Im Mai 2020 sollte das erste Schützenfest in Keyenberg (neu) stattfinden, dessen Planung und Ausrichtung ebenfalls filmisch dokumentiert werden. Dieses Fest musste nun aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt und auf das Jahr 2021 verschoben werden. Per Videobotschaft wendet sich der Brudermeister dafür an seine Schützenschwestern und -brüder und schließt seine Ansprache mit den Worten: „Gemeinsam bleiben wir zusammen im Geiste für Glaube, Sitte und Heimat in unseren Orten und darüber hinaus“.

Teilnehmende des Schützenzugs auf der Königsallee vor Toilettenwagen mit RWE-Aufschrift. Teilnehmende des Schützenzugs auf der Königsallee vor Toilettenwagen mit RWE-Aufschrift. Foto: Andrea Graf, LVR-ILR Kinderfahrräder mit den Schildern Glaube, Sitte Heimat auf der Königsallee vor der Residenz. Kinderfahrräder mit den Schildern Glaube, Sitte Heimat auf der Königsallee vor der Residenz. Foto: Andrea Graf, LVR-ILR Dekorierte Klompen mit Motiv: Außerirdische, die ein Ortsschild mit der Aufschrift Keyenberg-neu Ab in die Zukunft halten. Dekorierte Klompen mit Motiv: Außerirdische, die ein Ortsschild mit der Aufschrift Keyenberg-neu Ab in die Zukunft halten. Foto: Andrea Graf, LVR-ILR

Die Absage des Festes hat Auswirkungen auf das Filmprojekt, welches nicht wie geplant weitergeführt werden kann. Die Umsiedlung von Keyenberg wird indes weitergehen: Der Altort wird einsamer, der Neuort belebter werden, sich auch baulich weiter verändern.

Besonders in schwierigen Phasen des Wandels, wie die Umsiedlung eine ist, sind Feste als kommunikative Anlässe und zur Förderung von Gemeinschaft besonders wichtig. Ob sich hier alternative Kommunikationsformen in der Dorfgemeinschaft und unter den Vereinsmitgliedern entwickeln, werden wir sehen und an dieser Stelle über den Fortgang des Filmprojektes berichten.

Ansprechpartnerin

Andrea Graf M.A.
LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte
Endenicher Straße 133
53115 Bonn
Telefon: +49 (0) 228 9834 - 266
E-Mail: andrea.graf@lvr.de