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Vom Alltag auf die Bühne: Drag als Spiegel gesellschaftlicher Aushandlungen von Vielfalt im Rheinland

Eine Person mit langem Kleid, Perücke und Make-Up in Regenbogenfarben steht auf einer ausgeleuchteten Bühne, die Arme ausgebreitet, den Mund wie zum Singen weit geöffnet. Die Drag Queen Tara Cotta, Mitbegründerin des Keinkunst e.V., auf der Alter Markt-Bühne des Kölner Christopher Street Day (CSD), 19. Juli 2024. (Foto: Jana Brass/LVR)

Drag ist eine facettenreiche Kunstform, die von Menschen aller Identitäten und Geschlechter verkörpert wird: Von Drag Kings und Queens – aber auch von so genannten Drag Quings, Things, Aliens, Freaks und vielen mehr. Sie präsentieren sich auf Bühnen singend, tanzend oder sprechend, mal humorvoll, mal ernst, glamourös, albern, bunt schillernd oder düster. Die Vielfalt der Ausdrucksformen vereint dabei die Provokation: Drag will mehr als unterhalten. Nicht selten legen es die Künstler*innen gezielt darauf an, das Publikum herauszufordern: gängige Rollenbilder und Vorstellungen von Geschlecht und Identität etwa.

Ich spiele viel mit Männlichkeit, mit Genderstereotypen. [...] Mit einem bestimmten Outfit, mit technischen Hilfsmitteln, mit Objekten, mit einer Botschaft, mit einem Überthema.“
- Willie Eyelash, Drag King aus Bonn

„Was ich in Drag mache, ist die schwule Weiblichkeit, die ich in mir habe, nach außen zu tragen. Die ich schon immer in mir hatte!“
- Effi Biest, Drag Queen aus Düsseldorf

Drag kann als Geflecht kultureller Praktiken verstanden werden, die gesellschaftliche Normen hinterfragen und Missstände thematisieren – mit allen Mitteln der Bühnenkunst: Künstler*innen verbinden politische Forderungen mit aufwendigen Kostümen, ernste Botschaften mit humorvoller Unterhaltung, Gesellschaftskritik mit kunstvollem Make-Up. Das Publikum ist eingeladen, sich nicht nur unterhalten zu lassen, sondern das Bühnengeschehen auf die eigene Lebenswelt zu beziehen. Auf diese Weise schafft Drag stets auch Gemeinschaften und Räume, insbesondere für marginalisierte Gruppen und Themen.

„Mir ist es fast nicht möglich, unpolitisch Drag zu machen.“
- Tara Cotta, Drag Queen aus Köln

Auf einer bunt ausgeleuchteten Bühne sind unscharf mehrere Personen zu erkennen. Die Tribüne ist gefüllt mit Menschen, die von hinten zu erkennen sind. Gebanntes Publikum im ausverkauften Theater-Saal: Die Show der Drag Queen Effi Biest im Düsseldorfer Schauspielhaus, 8. Mai 2024. (Foto: Jana Brass/LVR) Auf einem Platz ist eine Bühne, dekoriert in Regenbogenfarben, aufgebaut, auf der eine Person in weißem Kostüm zu erkennen ist. Auf Bierbänken und dem Boden sitzen Zuschauer*innen. Eine Person hat eine Regenbogenflagge umgehängt. Das Publikum auf dem Bonner Münsterplatz verfolgt die Drag Show "Kokolores" im Rahmen des Bonner CSD, 3. August 2024. (Foto: Jana Brass/LVR)

„Dieses jubelnde Gemeinschaftsgefühl, das sich im Publikum bildet! Dass du so einen gewissen safe space für queere Menschen und für Drag und für die ganze Freude daran baust. Das finde ich, ist, ohne dass das wirklich groß angesprochen werden muss, so ein richtig schöner Community-Moment, den man dann mit den ganzen Leuten haben kann.“
- Fabrum, Drag-Fan und Künstler aus Bonn

In den letzten Jahren hat Drag in Deutschland erheblich an Popularität gewonnen, was nicht zuletzt dem US-amerikanischen Medienphänomen „RuPaul’s Drag Race“ zuzuschreiben ist, einer seit 2009 ausgestrahlten Castingshow für Drag-Künstler*innen. Die Kunstform wird immer stärker als Teil des Mainstreams wahrgenommen, füllt große Theaterbühnen, ausverkaufte Veranstaltungssäle und begehrte Sendeplätze, genauso wie YouTube-Kanäle, TikTok-Videos und Instagram-Beiträge.

Zugleich hat Drag unter dem Begriff „Travestie“ in Deutschland eine lange Tradition: Das Künstler-Duo Mary und Gordy begeisterte schon vor Jahrzehnten das deutsche Publikum, und auch der Bonner Curt Delander etwa erlangte mit seinen Imitationen glamouröser Diven ab den 1970er Jahren überregionale Bekanntheit. Was Drag-Künstler*innen heute tun, ist davon ebenso wenig gelöst zu betrachten wie vom Rheinischen Karneval, der Geschichte der Lesben- und Schwulenbewegung und anderer kultureller und gesellschaftlicher Entwicklungen.

Auf einem Tisch ist eine Palette Make Up und Pinsel ausgebreitet, daneben steht ein Vergrößerungs-Spiegel. Praktiken und Requisiten der Transformation: Um in ihre Bühnen-Persona zu schlüpfen, nutzen viele Drag-Künstler*innen aufwendiges Make-Up ... An einem Garderobenhaken hängt eine Schulterlange, blonde Perücke. ... und Perücken. (Fotos: Jana Brass/LVR)

Welchen Stellenwert hat Drag im Alltag der Menschen auf und vor der Bühne? Welche ganz persönlichen Lebenswirklichkeiten verarbeiten die Künstler*innen in ihren Darbietungen? In welche gesellschaftlichen Aushandlungen ist Drag verwoben? Was zeichnet die Kunstform im Rheinland heute aus, und wie kam es dazu? Welche Gemeinschaften und Räume entstehen hier? Wie und wo finden sie zusammen? Mit diesen und vielen weiteren Fragen beschäftigt sich seit Mai 2024 das Forschungsprojekt.

Persönliche Gespräche, ausführliche Blicke auf Bühnen ebenso wie hinter Kulissen und in Publikumsräume ermöglichen es, alltägliche und individuelle Perspektiven zu dokumentieren, zu erforschen und zu präsentieren. So trägt das Projekt zum Verständnis gesellschaftlicher Vielfalt und demokratischer Aushandlungsprozesse in der Region bei.

Über den Verlauf des Projekts informieren wir fortlaufend an dieser Stelle. Seien Sie gespannt!

Sie sind Fan, Künstler*in oder einfach interessiert am Thema? Dann treten Sie mit uns in Kontakt:

Ansprechpartnerin
Jana Brass
Wissenschaftliche Volontärin
Telefon: 0228 9834-252
E-Mail: jana.brass@lvr.de

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