LVR-Institut für Landeskunde
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Milde Gaben zu Sankt Martin

Kinder stehen vor einer offenen Haustür und erhalten von einer Frau Süßigkeiten. Kinder beim Martinssingen. Foto: LVR, CC BY 4.0 (039-123/Archiv des Alltags im Rheinland).

Letztes Jahr mussten sie coronabedingt leider ausfallen, dieses Jahr dürfen sie aber wieder stattfinden: Umzüge zu Sankt Martin. Nach einer szenischen Darstellung der Legende des Heiligen Martins, der seinen Umhang teilte und ihn einem frierenden Bettler schenkte, ziehen Kinder, mit Laternen ausstaffiert, durch die Straßen. Auf den Martinsumzug folgt im Rheinland (aber auch in anderen katholisch geprägten Regionen) noch ein weiterer Brauch: das Martinssingen. Die Kinder gehen von Haus zu Haus, singen ein Martinslied und werden dafür mit Süßigkeiten belohnt.

Dieser Brauch geht auf eine alte Tradition zurück, nämlich die der Heischebräuche. Diese etablierten sich zur Versorgung armer Leute, die in den Wintermonaten keine Arbeit fanden, um ihren eigenen Unterhalt zu bestreiten. Deshalb zogen sie in den Dörfern umher, trugen Lieder vor und sprachen Segen und Fürbitten, und erhielten im Gegenzug Lebensmittel wie Speck, Erbsen, Kartoffeln und Eier. Diese Bittgänge begannen an Allerheiligen und fanden mehrmals während des Winters statt; weitere Termine waren Sankt Martin, Dreikönig und Fastnacht. Heischebräuche existieren in dieser Form heute nicht mehr, sie haben sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts überwiegend zu Kinderbräuchen gewandelt.

Das Wort heischen geht zurück auf das althochdeutsche eiscon ‚fordern, verlangen, bitten, fragen’. Im niederdeutschen Sprachraum war es im Mittelalter als ēschen in Gebrauch. Das h enthielt heischen von seiner Ähnlichkeit zu heißen. Diese beiden Wörter sind mancherorts im Rheinland mitsamt ihrer Bedeutung miteinander verschmolzen: heischen kann also auch heißen bedeuten (Beispiel: Wie heschte? – Ech hesch Pitter.) und umgekehrt, die jeweils andere Form ist aus dem Wortschatz verschwunden.

Das Heischen kennt man im Rheinland unter einer Vielzahl regionaler Bezeichnungen. Im Köln-Bonner Raum und an der Ahr bezeichnet man den Kinderbrauch als Schnörzen – das stammt ab von einem Begriff aus der Gaunersprache, schnorren. Dieses wiederum leitet sich ab von schnurren, was auf das Instrument zurückgeht, mit dem Bettelmusikanten herumzogen: der Schnurrpfeife. Kötten ist das zentralrheinische Äquivalent. In Düsseldorf und Umgebung kennt man den Brauch als Gripschen, abgeleitet von dem niederdeutschen Wort grippen, was ‚heimlich (in kleine Mengen) stehlen, stibitzen‘ bedeutet und wohl ironisch zu verstehen ist.

Literatur: