LVR-Institut für Landeskunde
und Regionalgeschichte
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Regiolekte im Rheinland

Woran denkt man beim Anblick von Reiner Calmund? Vielleicht nicht im ersten Moment, aber dann sicherlich sehr schnell an seine Sprache - und damit an das Rheinland. Dass der schwergewichtige ehemalige Manager des Fußballvereins Bayer Leverkusen als der Prototyp des Rheinländers gilt, liegt nicht etwa daran, dass er "rheinischer" spricht als andere, sondern dass er dies auch in Situationen tut, in denen man es nicht gewohnt ist: im Fernsehen und im Radio!

Porträt von Reiner Calmund

Die Menschen im Rheinland haben neben dem Dialekt und dem Hochdeutschen (der Standardsprache) eine dritte, "dazwischen" angesiedelte Sprachoption: die regionale Umgangssprache, die auch Regiolekt genannt wird. Wenn Reiner Calmund im Fernsehen oder im Radio zu hören ist, dann fallen seine regiolektalen Sprachmerkmale auf.

Der Regiolekt ist zum Dialekt hin gut abzugrenzen. Im Rheinland wird er nirgendwo als Variante des Platt angesehen, auch wenn er markante Elemente des Dialekts aufweist, etwa dat, wat oder et. Aber ein Satz wie Et bleibt heute nix übber geht nirgendwo als Dialekt durch: So klingt der Regiolekt. Die Übergänge zwischen dem Regiolekt eines Menschen und seinem "besten" Hochdeutsch sind dagegen fließend. Auch wer Hochdeutsch (Standarddeutsch) sprechen will, lässt vielleicht noch regionale Merkmale hören, etwa wenn er Samstach statt Samstaak sagt oder misch statt mich. In der Rubrik "Regional" werden regionale Sprachmerkmale des Rheinlands erläutert, die in der regionalen Umgangssprache prägend sind, von denen manche aber auch im Hochdeutschen regionaler Prägung vorkommen können.

Hören Sie hier einen Ausschnitt eines Interviews mit Reiner Calmund bei Radio Berg: Spaziergang mit Reiner Calmund (MP3-Datei, 1,63 MB).

Konrad Adenauer

Vor Reiner Calmund war Konrad Adenauer der bekannteste Vertreter einer rheinisch-regional geprägten Sprache. Er lebte in einer Zeit, in der die Hochdeutsch-Kompetenz vieler Menschen bescheidener war als heute. Wer damals Hochdeutsch sprechen wollte, aber doch irgendwie im Dialektalen verhaftet blieb, dessen sprachliche Äußerungen wurden "Hochdeutsch auf Klumpen", "Hochdeutsch mit Streifen", "Hochdeutsch mit Knubbeln" oder auch "Kuschlemusch" genannt. Es war irgendwie verunglücktes Hochdeutsch. Dagegen entscheiden sich die Menschen heute für den Regiolekt als örtlicher oder regionaler Alltagssprache. Die meisten Regiolektsprecher*innen beherrschen den Dialekt wohl nicht mehr.

Viele Rheinländerinnen und Rheinländer sprechen wie Reiner Calmund, ohne damit ein vergleichbares Aufsehen zu erregen: "Die sin sich am kloppen. Die hat immer Brass mitte Füße. Die macht immer viel Jedöns um nix. Da bin ich fies für. Bis nach die Tage!" sind typische Wendungen für den sprachlichen Alltag in der Kneipe, beim Gespräch mit den Nachbarn oder beim Einkaufen. Man hört sie allerdings schon seltener in einer Bank oder beim Einwohnermeldeamt und schon gar nicht in der Schule, der Universität oder beim Gespräch mit dem Personalchef. Dann spricht man im Rheinland natürlich Hochdeutsch.

Auch die Comedy-Szene hat die Regionalsprache entdeckt. War der legendäre Jürgen von Manger noch konkurrenzlos, so kommt heute kaum ein Kleinkunsttheater ohne regionale Töne aus. Selbst die Literatur hat die Umgangssprache entdeckt und nutzt sie als Mittel zur Schilderung des Lokalkolorits. Die Eifelkrimis von Jacques Berndorf, die Ruhrgebietkrimis von Jürgen Lodemann oder die Niederrheinkrimis von Leenders/Bay/Leenders sind dafür sprechende Beispiele. Ihr niederrheinisch sprechender Kommissar Ackermann klingt beispielsweise so:
"Ich war in eurem Altersheim. Et is ja doch wat komisch, wa? Ich sach ja immer, alles hinter Uedem is schon feindliches Ausland. Da hört der Niederrhein quasi schon auf. Ich weiß et nich, aber irgendwie is dat ja schon en anderer Menschenschlach."

Der Regiolekt scheint sich zum Element eines regionalen Sprachbewusstseins zu entwickeln. Die zunehmende Entdialektalisierung des Rheinlandes wertet offensichtlich die regional geprägte Umgangssprache als Moment der sprachlichen Identität auf. Damit gerät sie natürlich in den Fokus der Sprachwissenschaft. Sie fragt, wer im Rheinland diesen Regiolekt bei welchen Gelegenheiten spricht; ob es erkennbare Unterschiede zwischen den Generationen gibt; ob es regionale Unterschiede gibt; welche sprachlichen Merkmale ihn kennzeichnen; welche Einflüsse die alten Dialekte auf den Regiolekt haben; wie sich der Regiolekt entwickelt; welches Prestige diese Variante hat; wie Schule/Lehrer mit dem Regiolekt umgehen; wie Medien auf diese Sprachform reagieren.

Bildnachweise

  • Foto "Kölner Charity Sports Night 2017" von Reiner Calmund, fotografiert von Raimond Spekking, unter CC BY-SA 4.0-Lizenz zur freien Dokumentation veröffentlicht, Quelle: Wikimedia Commons.
  • Foto "Konrad Adenauer", Repro einer Fotografie vom 23.06.1952 von Katherine Young, New York, Bundesarchiv (Bild B 145 Bild-F078072-0004), unter CC BY-SA 3.0-Lizenz zur freien Dokumentation veröffentlicht, Quelle: Wikimedia Commons.