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Alles paletti? Migration und Sprache an Rhein und Ruhr
Peter Honnen
Greven Verlag, Köln 2015, 78 Seiten, 8,90 €, ISBN 978-3-7743-0655-4
Migration ist - aus unterschiedlichen Gründen - das Thema der Stunde. „Seit gut 50 Jahren kommen Migranten nach Deutschland“ kann man zum Beispiel in diesem Zusammenhang im Internet lesen. Seit 50 Jahren? Darüber kann man im Rheinland eigentlich nur schmunzeln. Selbst wenn man lediglich die neuere Migrationsgeschichte betrachtet, so ist die „polnische Invasion“ ins Ruhrgebiet 125 Jahre alt und über 100000 Italiener waren schon lange vor dem Ersten Weltkrieg als Bauarbeiter im Rheinland. Aber streng genommen ist die gesamte Historie des Rheinlands eine einzige Migrationsgeschichte, angefangen bei den Kelten oder Galliern über die Römer und Germanen bis zu jüdischen Einwanderern, Franzosen, Spaniern oder Niederländern. Migranten aus der Türkei, dem Balkan oder der Levante sind hier lediglich das Ende einer langen Kette.
Ein Thema, das immer wieder im Migrationszusammenhang diskutiert wird, ist der Einfluss von Migrantensprachen auf die Entwicklung der deutschen Sprache: „Wie Migration die deutsche Sprache verändert!“ – „Bilden Migranten sprachliche Parallelgesellschaften?“ – „Wandlungsfähig war die deutsche Sprache schon immer – doch durch den Zuzug von Migranten hat sie sich besonders stark verändert.“ Dies sind einige der typischen Kommentare, wie sie häufig in den Medien zu finden sind. Aber stimmen sie überhaupt? Und wenn: Ist eine solche Entwicklung überhaupt ein „Problem“? Auch hier hat das das Rheinland mit seiner langen Sprachgeschichte einiges zu erzählen.
Sogar die gefürchteten „Parallelgesellschaften“ hat es hier tatsächlich schon immer gegeben – ohne dass sie nennenswertes Aufsehen erregt hätten. Die älteste datiert in die Frankenzeit und hat bis in das Mittelalter existiert. Es waren die Nachfahren gallo-romanischer Winzer, die über Jahrhunderte an der Mosel in mitten deutscher, sprich fränkischer, Nachbarn gelebt und romanisch gesprochen haben. Im 18. Jahrhundert waren es Armuts- und Religionsflüchtlinge aus der Pfalz, die sich am Niederrhein bei Kalkar angesiedelten und dort bis heute in ihrer Kolonie Pfälzisch sprechen. Glasbläser aus Pommern haben in Düsseldorf-Gerresheim rund einhundert Jahre eine abgeschlossene Gemeinschaft gebildet, in der ein niederdeutscher Dialekt gesprochen wurde.
Sehr stark an die aktuelle Diskussion über den Einfluss den Türkischen erinnert die Situation in den Kohlegebieten um 1900, als in manchen Kreisen über den schädlichen Einfluss des Polnischen auf die deutsche Sprache spekuliert wurde. Und obwohl noch heute die Umgangssprache an der Ruhr vielen als „Polnisch rückwärts“ gilt, war von polnischen Sprachelementen in der Alltagssprache schon um 1920 kaum noch etwas zu spüren; heute erinnern sich nur noch ältere Sprecher schon fast wehmütig an Wörter wie Mattka oder Mottek.
Dies sind nur einige der Geschichten, die es beim Thema „Migration und Sprache an Rhein und Ruhr“ zu erzählen gilt. Weitere Aspekte sind der vielbeschworene Einfluss des Französischen auf das Rheinische, Jiddismen in der rheinischen Alltagssprache, rotwelsche Lehnwörter oder - abfällige - Bezeichnungen für Fremde. All diese rheinischen Sprach- und Wortgeschichten gehören zur jahrtausendelangen rheinischen Migrationsgeschichte, sie erweitern die aktuelle Diskussion um Migration und Sprache um eine historische Dimension können so zu mehr Gelassenheit und Offenheit bei diesem umstrittenen Thema verhelfen. Das wäre dann eine echt „rheinische Lösung“ des Problems.
Erzählt werden diese Geschichten von Peter Honnen in einem gerade erscheinen Büchlein in der Reihe „leseZeichen“ des Greven Verlags Köln.