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Zeitzeugnisse
Monika Grübel, Barbara Seifen
In: Kippa, Koscher, Klezmer? - Dossier 'Judentum und Kultur'
Hg. Theo Geißler, Olaf Zimmermann
ConBrio Verlag, Berlin 2016, 72 Seiten
Preis: 4,20 €, ISBN: 978-3-934868-42-7
Einzigartig vielfältigWie hätte sich Deutschland kulturell entwickelt, wenn nicht während der Schoah seine wichtigsten kulturellen Vertreter getötet oder vertrieben worden wären? Eine Frage, die niemand letztendlich beantworten kann, doch ist der Verlust an Geist, Inspiration und Kunst durch die Vertreibung und Auslöschung jüdischen kulturellen Lebens in Deutschland bis heute deutlich spürbar. Trotz der perversen Bemühungen der Nationalsozialisten und ihrer vielen Helfer, jüdisches Leben in Deutschland vollständig auszulöschen, waren sie glücklicherweise nicht erfolgreich. Jüdisches Leben hat in Deutschland nie aufgehört zu existieren und jüdische Kultur ist auch weiterhin eine wichtige Quelle der kulturellen Erkenntnis. Jüdisches Leben in Deutschland hat sich gerade in den letzten Jahrzehnten durch Zuwanderung von Juden aus Osteuropa, aber auch von vielen jungen Israelis stark gewandelt. Mit unserem Dossier »Judentum und Kultur« haben wir einen Blick auf jüdisches Leben und jüdische Kultur heute in Deutschland geworfen und dabei aber auch den Blick zurück nicht vergessen.Der Deutsche Kulturrat beschäftigt sich erst seit einem Jahrzehnt mit dem Themenfeld »Kultur und Religion«. 2006 erschien das erste Dossier »Die Kirchen, die unbekannte kulturpolitische Macht«. Der Blick auf die kulturellen Aktivitäten der evangelischen und katholischen Kirche hat damals im Deutschen Kulturrat eine heftige Debatte ausgelöst, ob die Beschäftigung mit Religion nicht ein Rückfall hinter die Errungenschaften der Aufklärung sei. Kultur und Religion, so die Meinung einer Fraktion innerhalb des Kulturrates, sollen möglichst säuberlich voneinander getrennt werden. Doch am Ende der Debatte hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass Kultur ohne Religion nicht denkbar ist und dass die Beschäftigung mit religiösen Fragen zentral ist, um die Kulturentwicklung unserer Tage zu verstehen und zu beeinflussen. Das nächste Dossier des Deutschen Kulturrates beschäftigte sich 2011 mit dem Islam und seinen kulturellen und politischen Wirkungen besonders in Deutschland. Schon vor fünf Jahren stand der Islam für viele als Synonym für Terror und den »Kampf der Kulturen«. Wir haben den politischen Islam nicht beschönigt, haben aber auch die kulturelle Dimension des religiösen Islam versucht aufzuzeigen. Jetzt wiederum fünf Jahre später erscheint endlich das Dossier zu »Judentum und Kultur«. Dieses Dossier war eine besondere Herausforderung für uns. Das Judentum ist einzigartig vielfältig und deshalb nicht in wenigen Artikeln greifbar. Und jüdische Kultur ist auch Esskultur, Rechtskultur und besonders Debattenkultur.Judentum, Christentum und Islam verbindet der Glaubensursprung, trennt aber mehr als nur die Glaubenspraxis. Die jüngst vermehrt praktizierte Vereinnahmung des Judentums unter dem Stichwort »christlich-jüdisches Abendland« ist übergriffig, anmaßend und wenn es dann auch noch zur Ausgrenzung von Fremden missbraucht werden soll, ist es sogar beleidigend ahistorisch. Ich hoffe, wir können mit unserem Dossier auch Wissen über den jüdischen Glauben, über jüdisches Leben und jüdische Kultur vermitteln, die mehr Differenziertheit in den aktuellen Diskussionen erlaubt.Olaf Zimmermann ist Herausgeber des Dossiers und Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates