LVR-Institut für Landeskunde
und Regionalgeschichte
Logo LVR

Spielplatz

Von Rutschen, Schaukeln und dem Mindestabstand

Am Donnerstag, den 7. Mai war es endlich so weit: Die Absperrgitter und rotweißen Flatterbänder waren weggeräumt und die Kinder in NRW durften nach langen Wochen Abstinenz wieder auf ihre Spielplätze, durften rutschen, schaukeln und klettern.

Mit einem Gitter abgesperrter Spielplatz während der Corona-Krise Lange waren die Spielplätze während des Lockdowns gesperrt, Katrin Bauer/Archiv des Alltags im Rheinland/ KB20200425-006 Wipptier „Elefant“ auf einem Spielplatz Wippfiguren sind auf Spielplätzen spätestens seit den 1960er Jahren beliebt, Katrin Bauer/Archiv des Alltags im Rheinland/ KB20180717-002

Beobachtete man die Szenen und die glücklichen Kindergesichter, meinte man fast, es wäre alles wie immer, wie „vor Corona“, als der Spielplatz für Bewegung, für gemeinsames Erleben, für Spaß, Ausprobieren und ausgelassenes Spiel stand. Doch das täuscht, denn auch auf dem Spielplatz gibt es Hygienevorschriften und Mindestabstände, die eingehalten werden müssen, zumindest von den begleitenden Erwachsenen, wie das laminierte Schild am Eingang zu „unserem“ Spielplatz anzeigt: „Für Begleitpersonen, die nicht in häuslicher Gemeinschaft leben, gilt ein Mindestabstand von 1,50 Meter.“ heißt es da. Und so bleiben Erwachsene und Kinder bestmöglich getrennt, kein gemeinsames Spielen im Sand, kein Teilen von Schaufel, Förmchen und Eimer, kein gemeinschaftliches Pumpen am Wasserlauf und auch keine Spielplatzbegegnungen im Kletterhäuschen. Und wenn die Kinder im Eifer des Gefechts sich doch zu nahekommen, werden die Erwachsenen sichtbar nervös und greifen nicht selten ein, rufen ihre Kinder zurück, erinnern an „die Erkältung“ und „das Virus“ und mahnen zum Abstand halten. Auf dem Spielplatz werden die Auswirkungen von Corona im Kleinen sicht- und spürbar. Hier manifestiert sich in einem Mikrokosmos wie anders die Welt heute ist. Denn Spielplätze sind eigentlich Orte der sozialen Begegnung, der Kommunikation und der Interaktion. Hier treffen sich unterschiedliche soziale Gruppen, kommen miteinander in Kontakt, gewollt oder ungewollt, Bänke und Wiesen laden zum Picknick und zur Pause ein. Hier lernen Kinder teilen, etwa wenn das andere Kind mit dem eigenen Sandspielzeug spielen möchte. Hier kann man miteinander toben, die „Größeren“ beobachten, nachahmen und gemeinsam das Terrain erkunden. Nicht zufällig spricht man von „Spielplatzbekanntschaften“ oder „Sandkastenfreunden“.

Spielplätze sind uniform und individuell zugleich – die Hauptelemente Rutsche, Schaukel, Klettergerüst und Sandkasten sind heute wohl bundesweit vertreten, die Ausgestaltung der Spielelemente, ihre Materialität und Anordnung zeugen vom „Zeitgeist“ und sich verändernden gesellschaftlichen Wertigkeiten. Hölzerne Kletterkonstruktionen wie Piratenschiffe, Vogelnesttürme oder Tiere laden aktuell zum fantasievollen Spiel ein. Die DIN 18034 enthält Anforderungen und Hinweise für die Planung, den Bau und den Betrieb von Spielplätzen und regelt was und wie gebaut werden darf.

Spielplätze vermitteln immer eine Vorstellung davon, wie Kinder idealtypischer Weise zu spielen haben, welche motorischen und physischen Fähigkeiten sie entwickeln und beherrschen sollten. Sie sind die gebauten und physisch greifbaren Elemente von pädagogischen Konzepten und gesellschaftlichen Vorstellungswelten. Spielplätze geben so Bewegung und Spiel auch immer vor, sie leiten an und fordern auf, zum Klettern, Rutschen, zum Balancieren oder zum freien Spiel. Sie sind umzäunt, gestehen Kindern einen genau definierten Raum zu – nicht mehr und nicht weniger. Und auch hier setzt Corona neue Maßstäbe: Immer häufiger werden Straßen in Spielplatznähe zu temporären Spielstraßen, die für den Autoverkehr gesperrt werden. So soll eine Überfüllung der Spielplätze verhindert werden. Und so erobern sich in Zeiten der Krise Kinder die Straße zurück, den Raum, der vor der „Erfindung“ von Spielplätzen ihr Platz zum Spielen war.

Fünf Kinder vor einem Haus auf der Dorfstraße. Zwei von ihnen halten ein Seil, über das zwei andere Kinder springen. Heimatverein Breinig/Archiv des Alltags im Rheinland/1987-048-30

Wenn auch Sie Spielplatzgeschichten oder -fotos für unser Archiv des Alltags im Rheinland haben, schicken Sie diese gerne an katrin.bauer@lvr.de.

Katrin Bauer

Literatur: