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Besitzverhältnisse: der Anna ihr Buch
Wem is dat Buch/Kleid/Auto? – Fragen wie diese tönen wohl häufig durch das Rheinland, sie zielen darauf ab, Besitzverhältnisse klar zu stellen. Die rheinische Alltagssprache bietet ihren Sprechern und Sprecherinnen nun vielfältige Antwortmöglichkeiten auf diese Fragen, die je nach Region unterschiedlich häufig verwendet werden. Beginnen wir im Norden: Dat is Anna ihr Buch wäre wohl die häufigste Antwort. Diese Konstruktion heißt "possessiver Dativ", im Gegensatz zum Hochdeutschen wird hier nicht der Genitiv verwendet, um deutlich zu machen wem etwas gehört (Das ist Annas Buch), sondern der Dativ (Anna ihr Buch).
Weitere Varianten hierzu wären Der Anna ihr Buch und dem Anna sing Buch. Wissenswertes zur Verwendung von Artikel vor Vornamen (der Anna) gibt es hier zu lesen und zur Verwendung neutraler ('sächlicher') Formen bei Frauenrufnamen hier.
Ganz im Norden des Rheinlands, im kleverländischen Dialektgebiet, wird eine andere Konstruktion verwendet, die hier vorgestellt wird.
Auch wenn sich die Verwendung des possessiven Dativs in der hochdeutschen (Schrift-)sprache (noch) nicht durchgesetzt hat – in der Alltagssprache im Rheinland ist sie sehr üblich. Hier würde in vielen Gesprächssituationen der Gebrauch des Genitivs bei den Zuhörenden sicherlich sogar zu Verwunderung führen, wie Georg Cornelissen an einem Beispiel in seinem Buch "Der Niederrhein und sein Deutsch" deutlich macht (S. 35):
"Wer sich auf der Straße mit seiner Nachbarin unterhält, mit der er seit Jahr und Tag in niederrheinischem Deutsch zu sprechen pflegt, der wird ganz schön auffallen, wenn er dann auf einmal vom Haus meiner Tante redet, das eine Kusine von ihm gerade geerbt hat: Da wird se noch viel Spass dran haben. Dat Dach des Hauses is kaputt, der Boden des Kellers is nich dicht, un wat dat Schlimmste is: Die Leute, die dat Haus der Gemeinden nebenan gemietet habm: dat sin vielleicht Rabauken! Nää, mit Tante Marias Haus könnste mich jagen! Etwas nüchterner formuliert: Nicht jede der Regeln, aus denen sich die Grammatik des Standarddeutschen zusammensetzt, gilt auch in der Alltagssprache. 'Falsches Deutsch' kann richtig guter Regiolekt sein und 'gutes Deutsch', am falschen Ort, zur falschen Zeit, ganz schön deplatziert klingen."
Literatur:
- Georg Cornelissen: Dem Maurice sein Eimerchen. Wie Kölner Mütter sprechen. In: wir im rheinland. Magazin für Sprache und Alltagskultur (2) 2006, S. 46‒49.
- Georg Cornelissen: Der Niederrhein und sein Deutsch. Sprechen tun et fast alle. 4. Auflage. Köln 2007.
- Duden. Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. (= Duden Band 4). 7., völlig neu erarbeitete und erweiterte Auflage. Mannheim u. a. 2005.
- Alice Tiling-Herrwegen: De kölsche Sproch. Kurzgrammatik Kölsch – Deutsch. Köln 2002.
Bildnachweis:
- Foto "Aufgeblättertes Buch", fotografiert von Nevit Dilmen, unter GNU- sowie CC BY-SA 3.0-Lizenz für freie Dokumentation veröffentlich, Quelle: Wikipedia Commons.